Mo., 14.01.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Algerien: Die Pizzabäckerin in der Wüste
Da kommt er angedüst, der Pizza-Service in der Wüste. "Es macht mich stolz, die erste Pizzeria hier in den Flüchtlingslagern aufgebaut zu haben. Und das ich das ganz alleine als Frau geschafft habe und mit meinen eigenen Mitteln", erzählt Hindu Mani, Pizzabäckerin.
Pizzeria in einem Flüchtlingslager
Ein Pizza-Dienst in der algerischen Sahara, am Steuer eine junge Powerfrau: Hindu Mani, 28 Jahre alt. Das sind die Zutaten für eine ungewöhnliche Geschichte. In solchen Flüchtlingslagern leben hunderttausende Sahrauis seit vielen Jahren – sie sind hierhin geflohen, als Marokko ihre Heimat, die Westsahara, für sich beanspruchte. Hindu Mani ist in so einem Lager aufgewachsen, sie kennt nichts anderes als diese Tristesse. Doch nun lebt sie ihren Traum – ihr Pizza-Service. Sie beliefert Familien wie von Meneya Sidahme, deren Alltag von der Ödnis der Wüste bestimmt ist – sie wollen ausharren, bis sie ihr Land zurückbekommen.
"Wir leiden unter den schwierigen Bedingungen. Seit 40 Jahren leben wir in Zelten, bei extremen Temperaturen, ohne eigenes Auskommen", so Meneya Sidahme, Lagerbewohnerin. "Ich kann den Menschen mit meinem Service helfen, denn er bringt ein wenig Abwechslung. Sie freuen sich, wenn ich komme", sagt Hindu Mani.
Und dann zeigt sie uns ihren ganzen Stolz: Den Schnell-Imbiss im Flüchtlingslager. Die Spezialität: Pizza belegt mit Kamel-Fleisch, Pizza Sahrawi. Am Vormittag Besprechung mit ihren Angestellten – allesamt junge Frauen. Die unverheiratete Hindu will anderen Frauen helfen, einen Job zu finden – das ist ihre Mission.
"Mir ist das ein Anliegen, dass ich Frauen beschäftige"
Angefangen hat alles mit einem Koch-Wettbewerb, den Hindu gewann. Mit dem Preisgeld kaufte sie einen ersten Ofen, dann bekam sie von den Vereinten Nationen einen Kredit – seitdem expandiert das Geschäft, mit insgesamt acht angestellten Pizzabäckerinnen. "Ich bin sehr zufrieden, dass ich hier arbeiten kann, viele Frauen möchten das, denn anderswo kriegst Du keinen Job – so sehr man sich auch bemüht", erzählt Noga Hofdala, Angestellte. "Mir ist das ein Anliegen, dass ich Frauen beschäftige. Jugendliche finden in den Flüchtlingslagern generell kaum Arbeit, und für Mädchen ist es noch schwieriger", so Hindu Mani.
Hindu Mani hat es geschafft. Mit solchen Clips wirbt sie für sich und ihre Kamel Pizza. Wenn es Abend wird in den Flüchtlingslagern, dann läuft ihr Geschäft auf Hochtouren. Eine Pizza ist mit umgerechnet zwei Euro noch erschwinglich. Viele Menschen suchen Abwechslung vom monotonen Alltag. Und Hindu hat Kultstatus erreicht: Eine junge Frau, die ihr eigenes Geschäft führt und allein mit ihrer Pizza durch die Gegend kutschiert. Da staunen die Wüstensöhne.
"Ich bin so froh, dass es endlich eine Pizzeria hier im Lager gibt, und ich hoffe, dass Hindu noch andere Projekte realisieren wird", erzählt ein Anwohner. "Das ist schon außergewöhnlich, dass eine Frau eine Pizzeria alleine aufbaut, und dass sie von morgens bis spät abends arbeitet. Das ist etwas Besonderes", erzählt ein anderer Anwohner.
Am nächsten Tag ist Hindu wieder unterwegs. Es geht vorbei an den Trümmern von abgeschossenen Flugzeugen, Spuren eines Guerilla-Kriegs in der Wüste. Die Befreiungsbewegung der Sahrawí, die Polisario, hatte hier jahrelang gegen Marokko gekämpft. Erst Anfang der 90er Jahre schwiegen die Waffen, seitdem ist die Westsahara geteilt.
Kamel-Pizza, Frauenrechte und die Zukunft der Sahrauis
In einem heruntergekommenen Heim abseits der Lager leben einige der Befreiungskämpfer, die im Wüstenkrieg schwer verwundet wurden. Hindu Mani ist es wichtig, Solidarität zu zeigen, mit ihrem Besuch und einer Gratis-Pizza für Ahmed Hatari. Bei einem Luftangriff 1980 wurde seine Wirbelsäule schwer verletzt, seitdem ist er gelähmt. "Ich bereue nichts. Ich bin stolz auf meine Verwundung im Krieg, denn es geschah doch für eine gerechte und eine legale Sache", so Ahmed Hatari, Polisario Kämpfer.
Doch die Wahrheit ist: Der Konflikt um die Westsahara gehört zu den ältesten Afrikas, und die Welt hat ihn und seine Kämpfer vergessen. Es braucht viel Energie, um in dieser Umgebung an eine Zukunft zu glauben. Hindu Mani hat sie mehr als reichlich, und zeigt uns auf dem Rückweg noch schnell ihre zweite Pizzeria, die sie unlängst eröffnet hat – auch hier arbeiten natürlich nur Frauen. Hindu hat eine Mission, als nächstes soll eine Bäckerei folgen.
Und am Abend ist sie dann wieder in ihrer Zentrale unterwegs – Hindu Mani ist eine Frau, die anderen Mut macht – ihr geht es um Kamel-Pizza, um Frauenrechte und die Zukunft der Sahrauis.
"Ich habe noch so viele Träume. Ich hoffe, dass sich unser Leben irgendwann einmal ändern wird, dass wir auch als Volk unsere Unabhängigkeit bekommen werden", so Hindu Mani. Ihre persönliche Unabhängigkeit hat Hindu Mani längst erreicht. Und das macht die Pizzeria in der Wüste zu einer ungewöhnlichen Erfolgsgeschichte.
Autor: Stefan Schaaf/ ARD Studio Madrid
Stand: 12.09.2019 09:32 Uhr
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