So., 30.03.25 | 18:30 Uhr
Das Erste
Australien: Nationalsport mit Demenz-Gefahr
Es war für Sportfans in Australien ein Schock: Rugby-Legende Wally Lewis macht öffentlich, dass er Demenz hat. Ausgelöst durch seine Sportkarriere, denn beim Rugby prallen die Spieler häufig mit solcher Wucht gegeneinander, dass viele unter chronischer traumatischer Enzephalopathie CTE leiden. Lewis hat eine Debatte in Australien um die Demenzgefahr im Nationalsport ausgelöst. Eine Studie an verstorbenen Rugbyspielern liefert alarmierende Ergebnisse: Zwei Drittel der untersuchten Gehirne weisen Anzeichen von CTE auf. Muss sich der Sport verändern? Viele Eltern wollen ihre Kinder vor langfristigen Folgen schützen und sie von alternativen Sportarten überzeugen. Der Rugbyverband denkt währenddessen über eine Kopfschutz-Pflicht nach.
Unzählige Gehirnerschütterungen während der Profikarriere
Er ist der wohl berühmteste Rugby-Spieler Australiens: Wally Lewis. Genannt: Der König. Schon zu Lebzeiten eine Legende. Ein Spielmacher, Teamplayer, bekannt für seinen Durchblick. Und für seine beeindruckende Durchsetzungskraft. Er kämpft, siegt und nimmt dafür unzählige Gehirnerschütterungen in Kauf. "Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie viele Gehirnerschütterungen es waren", erzählt Wally Lewis. "Mal gab es in einer Saison ein Dutzend, dann vielleicht auch mal eine Saison ohne eine einzige. Aber es gab auf jeden Fall einige richtig schwere Vorfälle."

Als Spieler, Coach, Sportkommentator – erfolgreich. Aber: Es sind offenbar die Folgen der vielen Gehirnerschütterungen, die zum Ende seiner Karriere führen. Australische Nachrichtensendungen berichten ausführlich darüber: Wally Lewis leidet an Demenz. Mögliche Ursache: Rugby. Wir treffen Wally Lewis in Brisbane. Es ist dem 65-Jährigen ein Anliegen, nicht nur über die schönen Seiten seiner Rugby-Karriere zu sprechen, sondern auch über die Spätfolgen, über seine Krankheit. "Ich habe ziemlich lange gebraucht, um ehrlich zu sein. Ich hatte aber schon länger gemerkt, dass ich die Namen von Spielern nicht mehr nennen konnte, während ich ein Spiel kommentierte. Da fiel mir einfach ein Spieler nicht mehr ein. Und im Alltag passierte das dann auch, mir fielen die einfachsten Dinge nicht mehr ein, die ich gerade noch gesagt hatte."
Demenz – ausgelöst durch Rugby
Der ehemalige Rugbyspieler macht diese Bilder öffentlich, er zeigt den Australiern sein geschädigtes Gehirn. In der sogenannten Sports Brain Bank in Sydney sammelt Pathologe Michael Buckland alles Wissen über die Auswirkungen von hartem Kontaktsport auf das Gehirn. Er seziert die Gehirne verstorbener australischer Sportler. Für die medizinische Forschung. Nicht nur Kopfschläge, auch Bodychecks können zu Hirnverletzungen führen. Profi-Rugbyspieler sind während ihrer Karriere tausendfach Stößen ausgesetzt. "Man kann das hier dran sehen, diese Anomalie. Hier gibt es diese kleinen, sehr dünne Membranen, und es scheint, dass bei den Menschen, die viel Kontaktsport betrieben haben, dass die dann entweder in zwei Teile zerfallen oder völlig unterbrochen werden. Das deutet für mich darauf hin, dass die Person wiederholten Kopfstößen also erheblichen Belastungen ausgesetzt war." Seine Erkenntnisse rütteln Australiens Sportwelt auf. Demenz, aber auch andere mentale Krankheiten – ausgelöst durch Rugby.

Wie auch beim Profi-Rugbyspieler Paul Greene. Holte viele Pokale und Siegestrophäen, ein charismatischer Spieler, später Coach. Dann kamen plötzlich schwere Depressionen, die zu seinem Tod führten. "Ich wusste, dass da etwas nicht stimmte mit Paul", erzählt seine Witwe Amanda. "Und als Michael Buckland von der Sports Brain Bank auf mich zukam, da habe ich keinen Moment gezögert und Pauls Gehirn gespendet. Zur genaueren Untersuchung. Da steckte mehr hinter, darauf musste es Antworten geben." Paul Greens Gehirn war schwer geschädigt in Folge zu vieler Bodychecks und Gehirnerschütterungen. Der harte Sport – bei ihm die Ursache für die Depression. "Australier, Aussies, sind für ihre Härte bekannt. Aber wir müssen uns ändern und beim Sport unsere Gesundheit an vorderste Stelle stellen. Die Rugby-Jungs können ja nicht wirklich ihre Gesundheit riskieren – zu unserer Unterhaltung. Also, ja, da müssen auch wir uns ändern."
Diskussion über die Sicherheit beim Nationalsport
Australien diskutiert jetzt seinen Lieblingssport, der jedes Wochenende zahlreiche Fans in die Stadien und Sportbars bringt. Auch und gerade wegen der spannenden Zusammenstöße. Die Rugby- und die Football-Liga haben mittlerweile neue Regeln eingeführt, die die Spieler schützen sollen. Ganz langsam findet ein Umdenken statt. "Die Verbände sind an einem Punkt, an dem sie etwas tun müssen" meint ein Besucher einer Sportsbar. Seine Begleiterin ergänzt: "Wir wissen jetzt zu viel, man kann die Tatsache nicht ignorieren." Der Mann: "Wenn wir schlauer spielen können, mit besseren Regeln, dann steh ich da voll und ganz dahinter." Die Frau: "Und es sollte sich zum Besseren für die Spieler und die Sicherheit aller Beteiligten ändern. Es wird nur besser, je mehr wir wissen."

In einem Vorort von Sydney trainieren schon die Jüngsten den australischen Lieblingssport. Trainer Tim war selbst lange Rugby-Spieler in der ersten Liga, kämpfte für die Sydney Swans. Er hat ein neues Training entwickelt: ohne Körperstöße. Zum Schutz der Kleinsten. "Natürlich, darüber machen sich ja mittlerweile auch die Eltern Gedanken. Und das sollten sie auch. Es ist so wichtig, es geht ja um den Kopf und die Kinder sollen nicht schon im jungen Alter Kopfschläge bekommen. Das lässt sich auch beim Kontaktsport verhindern. Wir Trainer müssen jetzt die Techniken beibringen und dann schützt das hoffentlich ein bisschen." Den Sport sicherer machen. Von Anfang an. In seiner Footy-Academy erklärt er, wie es weniger hart, aber genauso leidenschaftlich auf dem Spielfeld zugehen kann. Der sichere Angriff – seitlich den Gegner überwinden. Ohne Angst. "Das ist ein schmaler Grat: also wirklich vorsichtig sein mit Kopfschlägen und Gehirnerschütterungen – aber es mit der Vorsicht auch nicht übertreiben, damit der Spaß bleibt. Das ist gar nicht leicht." Die nächste Generation australischer Sportler. Für Trainer Tim ist wichtig, dass auch sie weiter Rugby spielen können, aber ohne Spätfolgen.
Autorin: Christiane Justus, ARD-Studio Singapur
Stand: 31.03.2025 10:59 Uhr
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