SENDETERMIN So., 30.03.25 | 18:30 Uhr | Das Erste

Bolivien: Vier Tage im größten Gefängnis

Bolivien: Vier Tage im größten Gefängnis | Bild: SWR

Wer Geld hat, lebt in Palmasola besser als diejenigen, die keins haben. Geld entscheidet darüber, ob du auf dem Boden oder im Stockbett schläfst. Die Frauen im Knast verwalten ihren Alltag selbst. Drogen und Gewalt sind in Palmasola normal. Kein Wunder: Auf 5.000 Insassen kommen im Gefängnis sechs Wärter. Die kümmern sich vor allem darum, dass niemand flieht. Die Insassen verwalten sich selbst, sogenannte "Disciplinas" haben hier das Sagen. Aber es leben auch 62 Kinder im Gefängnis. Bis sie sechs Jahre alt sind, bleiben sie bei ihren Müttern.

Einblick in den Frauenknast

Boliviens größtes Gefängnis. Palmasola ist berüchtigt: Drogenhandel, Prostitution seien drinnen Alltag, heißt es. Sogar tödliche Aufstände gab es schon. Monatelang haben wir um die Drehgenehmigung gekämpft. Hinter diesen Mauern liegt das: Ich bin im Frauentrakt von Palmasola. Mein erster Eindruck: ganz idyllisch hier. Ein Dorf statt Gefängniszellen. Ich treffe eine Insassin, die uns zeigen soll, wie der Knast organisiert ist. Janeth wird uns hier rumführen. Im PC2 sind wir, hier sind alle Frauen, ca. 600 und sie wird uns zeigen, wie das hier ist. Janeth wurde uns von Gefängnisverwaltung vorgeschlagen, weil sie sich gut führt. Sie hat ihren Ehemann umgebracht. Hier war sie untergebracht, als sie ins Gefängnis kam.

Frau sitzt auf Bett in Gefängniszelle
Nicht alle haben ein Bett zum Schlafen  | Bild: SWR

"Hallo, darf ich hereinkommen?" Puh, erster Eindruck. Überwältig von dem, was ich sehe. Ist viel los. Keine Privatsphäre. Wo hast Du geschlafen? "Hier auf dem Boden!", sagt Janeth. "Und das war mein Bett. Das werde ich nicht vergessen. Sieht ja noch genauso aus." Also heute Abend werden die Matratzen, die du dahinten siehst, bis hier vorne liegen und manchmal, sagen sie, liegen sie sogar bis raus. Und dafür haben sie zwei Duschen und zwei oder drei Toiletten für 140 Menschen, die hier liegen. Du startest mit einer Matratze am Boden und dann steigst auf. Über die Zeit oder mit Geld? "Mit Zeit und mit Geld." Also wer hier auf dem Boden schläft, muss umgerechnet 8 Euro zahlen. An wen? "An mich", sagt die Vorsteherin. "An die Vorsteherin", sagt Janeth. "Die kümmert sich drum, dass alles immer sauber ist und instandgehalten wird." Das gibt es bei uns in Deutschland nicht, dass Du für Dein Bett und die Reinigung zahlen musst. "Doch, doch, hier zahlst Du für alles."

Knallharte Hierarchien

Mir scheint: es gibt eine knallharte Hierarchie zwischen den Häftlingen, die hier drin das Sagen haben. Wer Geld hat, der steigt schneller auf. Die Polizistinnen scheinen sich rauszuhalten. Wann immer wir unbeobachtet sind, wenden sich Insassinnen an uns. Sie berichten von Korruption, Drogen, Waffen und Alkohol im Knast. Und davon, dass die Aufseherinnen daran mitverdienen. Draußen, vor dem Gefängnis, spricht uns ein Mann an. Auf Englisch. Damit weniger Menschen mithören. Er sei in Palmasola gewesen und könne uns anonym erzählen, wie es im Männertrakt läuft. Wir entfernen uns vom Gefängnis. "Wenn du raus willst, musst du zwischen 30- und 50.000 US-Dollar zahlen, an die Richter. Die Behörden. Und die Polizisten. Wenn Du zu einer Anhörung außerhalb vom Gefängnis musst, sagen sie dir: Niemand wird dich dahin bringen. Also zahlst Du ihnen 500 bis 1.000 Bolivianos jedes Mal, wenn Du zu einer Anhörung musst, um zu beweisen, dass Du unschuldig bist. Wenn Du kein Geld hast, dann kannst Du nicht hingehen."

Luftaufnahme Gefängnis Palmasola
Das größte Gefängnis Boliviens | Bild: SWR

Palmasola ist das größte Gefängnis Boliviens. Und läuft immer voller: 9.000 Menschen sitzen hier. 85% von ihnen ohne Urteil. Oft warten sie jahrelang auf einen Prozess. Viele sagen mir: Rein kommst du schnell, aber raus nicht. Denn die Unschuld zu beweisen, einen Anwalt zu zahlen: Das können sich viele nicht leisten. Wer Geld hat, kaufe sich frei. "Ja, jeder weiß das", sagt die Kriminalexpertin Gabriela Reyes. "Wenn einer Geld hat, sucht er sich einen guten Anwalt, der gute Kontakte hat. Wem kommt es schon auf gute juristische Kenntnisse an. Wenn es um Straftaten geht, dann suchst Du Dir jemanden, mit guten Kontakten – zum Richter, zu den Behörden. Und wenn du einen Kontakt in die Politik hast, dann hast du schon die halbe Miete. Das ist schlimm. Es gibt keine Motivation dieses System zu ändern. Warum auch? Weil es allen ums Geld geht." Mittagszeit im Frauenknast. Selbst hier macht Geld einen Unterschied. Wer sichs leisten kann, isst im Restaurant. Für die anderen gibt’s das hier: Den Rancho. Einmal am Tag. Wir scheinen jedenfalls eine ganz gute Ablenkung zu sein für die Insassinnen hier.

Autorinnen: Xenia Böttcher, Joana Jäschke, ARD-Studio Rio de Janeiro

Stand: 30.03.2025 22:09 Uhr

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