So., 08.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Bangladesch: Schwimmende Gärten
Obaidal Molla hat eine alte Anbaumethode wiederentdeckt. Sein Gemüse wächst auf dem Wasser. Für den Bauern im Süden eine Notwendigkeit, denn seine Felder stehen mittlerweile acht Monate im Jahr unter Wasser. Eine direkte Folge des Klimawandels. In Bangladesch bedeutet das immer mehr Regen und ein steigender Meeresspiegel. Schwimmende Felder sind ein Ausweg, der jetzt Schule macht.
Alte Anbaumethoden zum Leben erweckt
Der Monsun im Süden Bangladeschs bringt von Jahr zu Jahr mehr Regen. Und für immer größere Flächen heißt es dann: Land unter. Seit ein paar Jahren stehen auch die Felder von Gemüsebauer Obaidal Molla für acht Monate im Jahr unter Wasser. Aber Molla hat eine Lösung dafür gefunden: Seine Gemüsebeete schwimmen auf dem hüfthohen Süßwasser. Die Anbaumethode ist uralt, Molla hat sie zu neuem Leben erweckt und ist damit einer von Bangladeschs Landwirtschaftspionieren. "Ich habe das bei meinem Vater abgeschaut. Der hatte schon ein paar Pflanzen auf dem Wasser. Aber damals war das noch nicht systematisch. Das haben wir weiterentwickelt. Uns bleibt ja auch gar nichts anderes übrig, wenn wir nicht verhungern wollen."
Molla musste sich erst daran gewöhnen, dass sich sein Leben jetzt komplett im und auf dem Wasser abspielt. Doch der Erfolg gibt ihm recht. Die Kürbisse wachsen im Rekordtempo. Schon in ein paar Tagen wird er ernten können. "Das Gemüse vom Wasser schmeckt besser und hat mehr Vitamine. Wir brauchen hier keinen künstlichen Dünger oder Pestizide. Deshalb ist das Gemüse besser als das, das auf dem Land wächst. Viel besser." Nebenan hat Molla schon die nächsten Setzlinge. Die Wurzeln holen sich Nährstoffe direkt aus dem Wasser. Sie stecken im Kompost. Der ist so leicht, dass er schwimmt. Es gibt hier so gut wie keine Strömung. Und so treiben die Beete, die mit Netzen zusammengehalten werden, träge auf dem Wasser.
Obaidal Molla hat es in seinem Dorf zu etwas gebracht. 300 Euro verdient er im Monat. Dreimal mehr als üblich in dieser Gegend. Dafür hilft die ganze Familie mit, auch Tochter Lamia. Sie steckt Kürbiskerne in Kompostballen. Die werden später aufs Wasser gesetzt. Die Bauern in Bangladesch trotzen dem Klimawandel so gut es geht. Und trotzdem: Als Gewinner sehen sie sich nicht. "Natürlich habe ich Angst, wenn mein Vater auf dem Wasser ist", sagt Tochter Lamia. "Es wird ja immer heißer. Außerdem brüten Moskitos im Wasser und die bringen Krankheiten. Vater ist oft krank. Für uns ist das schlimm. Er ist in unserer Familie der einzige, der Geld verdient. Das ist dann immer eine kritische Zeit."
Klimawandel sorgt für steigenden Meeresspiegel
Im Dorf nebenan kommen die Männer gerade vom Holzfällen. Nachschub für den Bootsbauer. Mohanando Samadder macht mit 70 Jahre gerade das Geschäft seines Lebens. Samadder hat seine Landwirtschaft aufgegeben und sich ganz aufs Bootsbauen spezialisiert. Sechs Stunden braucht er, um aus dem Holz des Brotfruchtbaumes zuerst Planken und dann ein fertiges Boot zu zimmern. Alles per Handarbeit. Verkaufen könnte er viel mehr. "Wir haben im Moment echt gut zu tun. Jetzt ist Saison. Und die Bauern müssen auf’s Wasser. Für uns ist das doppelt gut, denn das Holz muss weg. Sonst verfault es in der nassen Jahreszeit. Aber wir machen den Bauern trotzdem einen guten Preis."
Jeden Freitag fährt Mohanando Samadder zum Markt. Trotz seines fortgeschrittenen Alters rudert er selbst. Fünf Kilometer. Bangladesch ist durchzogen von mehr als 230 Flüssen und zehntausenden Nebenarmen. Vor allem im Süden wie hier in der Provinz Barisal wird das immer mehr zum Problem. Der Meeresspiegel steigt und drückt die Flüsse zurück aufs Land. Die Menschen müssen sich anpassen. Zum Glück für die Bootsbauer. Über zwei Kilometer zieht sich der Bootsmarkt entlang des Sandhya. Die kleinen Dingis sind erstaunlich robust. Bis zu 450 Kilo tragen sie. 4.000 Taka kostet eines. 40 Euro. Mohanando Samadder kann entspannt abwarten. Er hat seine Stammkundschaft. "Alles hängt vom Können des Bootsbauers ab. Und von seiner Erfahrung. Ich hab beides. Deshalb mögen die Leute mich. Das hab ich mir aber auch hart erarbeiten müssen."
Schwimmende Gärten als Modell für ganz Bangladesch
Auf der Gemüsefarm von Obaidal Molla hat sich derweil hoher Besuch angesagt. Agraringenieur Dolon Roy. Die Regierung von Bangladesch fördert den Anbau auf den schwimmenden Feldern. Spinat, Okra-Schoten, Tomaten, Blumenkohl und eben Kürbisse. Durch den Klimawandel könnte bald ein Drittel der Fläche des gesamten Landes überflutet werden. Die schwimmenden Gärten, die bislang auf die relativ kleine Region hier beschränkt sind, könnten zum Modell für ganz Bangladesch werden. "Noch produziert Bangladesch genügend Lebensmittel, um sich selbst zu versorgen", erklärt Dolon Roy. "Was wir nicht ausreichend haben, sind 'sichere' Lebensmittel – im Sinne von unbelastet mit Schadstoffen. Da leisten die schwimmenden Gärten einen wichtigen Beitrag, denn die Bauern brauchen hier wesentlich weniger Pestizide, weil es auf dem Wasser weniger Ungeziefer gibt."
Das ist ein Vorteil für Obaidal Molla. Auch auf dem lokalen Großmarkt. Er verkauft hier nicht nur sein Gemüse, sondern auch die Setzlinge an die Bauern der Umgebung. Früher hat er ausschließlich Reis auf seinen Feldern angebaut. Das war deutlich weniger Arbeit, sagt er. Doch seitdem er auf’s Wasser gegangen ist, ist seine Farm viel profitabler. "Die Setzlinge, die auf dem Land gezogen werden, sind schwächer. Unsere sind widerstandsfähiger und sehen auch frischer aus. Deshalb verkaufen wir besser als die Land–Bauern. Unsere Wasser-Setzlinge sind mehr gefragt und wir erzielen höhere Preise." Und deshalb planen die Bauern von Barisal auch, die schwimmenden Gärten deutlich zu vergrößern. Wasser dafür ist genügend vorhanden. Und es wird immer mehr in diesem Teil von Bangladesch.
Autor: Peter Gerhardt, ARD-Studio Neu-Delhi
Stand: 13.11.2020 13:49 Uhr
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