So., 30.04.23 | 18:30 Uhr
Barbados: Das Erbe der Briten und die Erwartungen an König Charles
Erstmals wird in London ein König gekrönt, der nicht Oberhaupt der Karibikinsel wird. Barbados ist seit 2021 eine Republik. Trotzdem sind die Erwartungen an King Charles III. hoch. Als Prinz sprach er von der dunklen Geschichte der Sklaverei. Barbados war im 17. Jahrhundert ein brutales Sklavenarbeitslager. Das Ackerland diente der Zuckerrohrproduktion. Jährlich importierten die Kolonialherren etwa 20.000 Sklaven in die Karibik, um die Zahl der Arbeitskräfte stabil zu halten – denn so viele Menschen starben auf den Plantagen. Jetzt hoffen die Nachfahren der Sklaven in Barbados, dass Charles III. als König einen Prozess der Entschuldigung, Reparation und Versöhnung anstößt.
Wer übernimmt Verantwortung für Kolonialverbrechen?
Das Zuckerrohr erzählt von Barbados: eine Geschichte von Reichtum und großem Leid. Pedro Welch ist ein ruhiger Mann, aber nun steigt Wut in ihm auf. Denn hier litten früher tausende Menschen. Drax-Hall, gebaut um 1650. Welch und Frederick Alleyne sind Historiker, Forscher. Näher ran dürfen sie nicht – die Plantage gehört Richard Drax, Nachfahre der einstigen Sklaven-Treiber, für den Welch eine Botschaft hat. "Sie müssen den enormen Schaden anerkennen, der unseren Leuten zugefügt wurde. Sie haben sie zwar nicht persönlich versklavt, aber Ihre Vorfahren." Drax lebt weit weg, in Großbritannien. Ist Tory-Abgeordneter, Multimillionär. Auch weil seine Vorfahren Pioniere waren im Zuckeranbau, so ein Vermögen machten. Welch kämpft schon lange um Wiedergutmachung für die Karibik – nun ist er 73. Ob er es schafft? Drax sagt: Alles lange her. Aber ist es das wirklich? "Das Geld, das Sie noch aus dem Besitz der Plantage erhalten, zeigt, dass Sie mit Ihren Vorfahren verbunden sind", so der Historiker Pedro Welch.
Die Drax-Geschichte wirft eine Frage auf: Verjährt Verantwortung für das Grauen? 300 Jahre prägten die Briten die Insel. Barbados nennen manche "Little England". Die Kolonialherren brachten Sprache, Architektur, den Linksverkehr. Die Traumstrände locken Touristen an. Und lassen leicht die Geschichte vergessen – von Versklavung und Gewalt. Auch Welchs Vorfahren wurden hierher verschleppt, teils aus Nigeria. Im Nationalarchiv belegen Dokumente zehntausende solcher Schicksale. Und zeugen vom Leid, für das die Versklavten nie entschädigt wurden. Auszüge aus einem Gesetz von 1661. Der Slave Code – Vorbild für andere Kolonien. "Bei einem zweiten Angriff, soll er ausgepeitscht, seine Nase aufgeschlitzt und sein Gesicht an einigen Stellen mit einem heißen Eisen verbrannt werden" liest Pedro Welch vor. Und ergänzt: "Das Gesetz bestimmt die Strafen für eine schwarze Person, wenn diese eine weiße angreift. Die Strafe konnte der Tod sein."
Erwartungen an den König Charles III.
Als Barbados 2021 eine Staatspräsidentin wählt, und die Queen gleichzeitig als Staatsoberhaupt absetzt galt das als wichtiges Symbol. Prinz Charles – zu Gast bei der Feier – gibt die Grausamkeit der Sklaverei zu. Eine Entschuldigung äußert er nicht. Obwohl die überfällig sei, sagt Kevin Farmer. Im Barbados Museum bewahrt er Überbleibsel des Systems auf, in dem Weiße Schwarze zu Eigentum machten, per Brandzeichen. Die Monarchie profitierte von der Sklaverei. Mit britischen Besuchern beginnt schnell ein Gespräch: Wie kann Wiedergutmachung aussehen? Geht es um Geld? Für die Briten würde das extrem teuer. Farmer sagt, ihm gehe es eher um das Bewusstsein. "Die Dinge nach hunderten Jahren gut zu machen, ist schwierig", meint Besucher Vaughn Armstrong. Und Christine Daniel meint: "Ich würde mich entschuldigen, wenn ich fühlte, dass das etwas bedeutet. Ich habe persönlich nichts damit zu tun."
Richard Drax hat diese persönliche Verbindung. Sein Vorfahre Edward schrieb 1786 ein Hand-Buch mit, zum Umgang mit Schwarzen. "Schläge waren auf der Skala der Bestrafungen noch harmlos." Einige wollen Drax gerne persönlich zahlen lassen. Andere meinen, diese Polemik führe zu nichts. Es gebe bessere, offizielle Vorschläge: Eine formelle Entschuldigung der Regierung. Hilfen für Bildung, Gesundheit, ein Schuldenerlass. Hinter den Kulissen könnte Charles das doch anstoßen, unterstützen. "Wenn Du das Thema Versklavung ignorierst, bist du ja fast vorsätzlich ignorant", sagt Kevin Farmer, "Barbados Museum & Historical Society". "Und was König Charles andeutet, ist ja, dass er nicht länger vorsätzlich ignorant sein will." Dass Charles die Sklavenvergangenheit der Monarchie aufarbeiten will, sei ein gutes Zeichen. Richard Drax dagegen reagiert auf unsere Interview-Anfrage nicht. Auch andere Nachfahren von Plantagen-Besitzern halten sich bedeckt.
Nachkommen der Sklaven wollen Wiedergutmachung
Spurensuche mit Frederick Alleyne. Rund um Drax Hall leben bis heute Nachkommen einstiger Sklaven. Cynthia Griffith redet nicht oft darüber, das Thema geht ihr unter die Haut. Denn wie könne man Horror kompensieren? "Also sagen wir, sie zahlen ein paar Millionen. Wer bekommt eigentlich die Millionen? Was ist mein Anteil daran? Habe ich Anspruch darauf? Und wenn das bezahlt wurde, ist dann alles okay? Was passiert nach den Reparationen?" Pedro Welch meint: eine Geste würde viel helfen. Weil die Vergangenheit die Gegenwart bestimmt. Das Grundstück hat ihm ein Vorfahre vererbt. Einst versklavt, konnte der es irgendwann kaufen. Welch hat das akribisch zurückverfolgt. "Meine Recherchen sind auch sehr persönlich. Ich bin verbunden mit Menschen, die unter der Sklaverei gelitten haben. Hier zu leben, bedeutet mir sehr viel." Er will die Hoffnung nicht verlieren, Hoffnung auf Großbritannien, die Regierung und den König. Darauf, dass es doch Wiedergutmachung gibt, für die er als Historiker schon so lange kämpft.
Autorin: Marie-Kristin Boese, ARD-Studio Mexiko
Der Weltspiegel Podcast "Neuer König, alte Schuld: Charles III. und die Ex-Kolonien" auch zu diesem Thema. Joana Jäschke im Gespräch mit Annette Dittert, ARD-Studio London und Marie-Kristin Boese, ARD-Studio Mexiko. In der ARD-Mediathek und überall, wo es Podcasts gibt.
Stand: 01.05.2023 00:05 Uhr
Kommentare