So., 09.08.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Belarus: Drei Frauen gegen Lukaschenko
Für Politik hatte Swetlana Tichanowskaja sich nie interessiert, sagt sie. Doch dann wird ihr Mann wegen seines kritischen Blogs verhaftet, kann nicht für die Opposition antreten. Kurzerhand lässt sich Tichanowskaja selbst als Präsidentschaftskandidatin aufstellen. Ein Wahlprogramm hat sie nicht – sie gibt nur ein Versprechen: "Ehrliche Wahlen zu organisieren".
An ihrer Seite: zwei weitere Frauen: Auch sie vertreten Kandidaten, die bei der Wahl nicht antreten dürfen. Denn eigentlich hatte Langzeit-Machthaber Alexander Lukaschenko alle ernstzunehmenden Konkurrenten ausgeschlossen oder ins Gefängnis werfen lassen. Doch mit ihren Frauen hatte er wohl nicht gerechnet. Der Wahlkampf wird emotional geführt, wie lange nicht. Tausende Menschen gehen für die Opposition auf die Straße, selbst in kleineren Städten haben die Menschen ihre Angst abgeworfen. Eine Hoffnung, die lange nicht mehr zu spüren war.
Sofortige Neuwahlen sind das wichtigste Wahlversprechen
"Ave Maria" auf Belarussisch. Es singt Margarita Lewtschuk, Star-Sopranistin aus Minsk. Vielleicht erhört der liebe Gott ja dieses Gebet, hat sie vor dem Auftritt gesagt. Margarita singt für ein neues Belarus. Und für die drei neuen Superfrauen: so sehen sie ihre Fans. In der Mitte die, der sie hier zujubeln: Sweta, rufen sie. Gemeint ist Swetlana Tichanowskaja. 37, Hausfrau, Lehrerin, Mutter zweier Kinder. Und neuerdings: Präsidentschaftskandidatin. "Ehrlich gesagt ist es mir unangenehm, wenn ihr mich so bejubelt. Ich bin doch wie ihr. Ja, ich bin klasse – aber ihr seid es auch. Danke. Ihr könnt sicher sein: ich ziehe das hier durch bis zum Sieg."
Eigentlich wollte ihr Mann bei der Wahl kandidieren, doch er wurde verhaftet – also macht sie es selbst. Mit ihr auf der Bühne stehen noch zwei Frauen: Maria Kolesnikowa war Wahlkampfleiterin für einen Kandidaten, der ebenfalls jetzt im Knast sitzt. Und Veronika Tsepkalo. Auch ihr Mann wollte kandidieren – und musste dann mit den Kindern nach Russland fliehen. Die drei Frauen haben im Handstreich die zerstrittene Opposition vereint. Hinter Swetlana Tichanowskaja. Ihr wichtigstes Wahlversprechen: sofortige Neuwahlen, mit allen Kandidaten.
Das weiße Armband ist das Zeichen der Opposition, auch Margarita Lewtschuk, die Sopranistin, trägt es. Margarita stammt aus einem Dorf im Westen des Landes, Sie ist immer noch hier gemeldet, zur Wahl ist sie hergefahren. Besuch bei der Oma. Dass ausgerechnet sie, bis vor kurzem das Vorzeige-Talent des Staatstheaters, jetzt für die Opposition singt, hat viele überrascht. Hier auf dem Land hat Lukaschenko seine treuesten Anhänger. Auch Margaritas Oma wählt ihn, seit Jahren. "Natürlich Lukaschenko. Weil er mir die Rente pünktlich zahlt. Die jungen Leute, die verstehen das nicht." Dass die Opposition unterdrückt wird, dass es überhaupt Opposition gibt – aus dem Fernsehen hat Margaritas Oma das nie erfahren. "Meine Eltern haben Angst, weil ich sage, was ist", erzählt Margarita. "Dafür kannst du in den Knast kommen. Und ich habe Angst um sie – was, wenn sie mich festnehmen und dann auch zu ihnen kommen? Für die sind alle schuldig." Angst um sich selbst hat sie nicht. "Wir Frauen können viel. Das sehen wir doch gerade jetzt. Wir können für uns selbst einstehen. Es reicht uns jetzt. Auch eine Frau kann einen Staat lenken."
Belarus hat sich verändert
Was Präsident Lukaschenko von einer Frau als Staatschefin hält, erzählt er bei jeder Gelegenheit. "Unsere Verfassung ist nicht für eine Frau gemacht, und unsere Gesellschaft ist nicht reif, für eine Frau zu stimmen. Wir sind hier nicht Litauen. Die hatten eine Präsidentin, die musste nur ein bisschen lächeln und herumsitzen, ohne Verantwortung zu tragen. Bei uns ist das nicht so. Unser Präsident wird ein Kerl sein." Möglicherweise sieht sogar Swetlana Tichanowskaja das so. Sie wolle wirklich nur gewinnen, um alle politischen Gefangenen zu befreien. Und dann sofort Neuwahlen ansetzen, sagt sie im Interview. Weitermachen sollten andere. "Aus unserer Sicht haben wir schon gewonnen, wir spüren die Stimmung im Land, wie sehen, wer alles zu den Demos kommt: die Leute wollen den Wandel. Aber unser Land braucht jetzt einen Manager, der sich auskennt in ökonomischen und politischen Prozessen. Einen sehr fähigen Manager. Und das bin sicher nicht ich."
Margarita macht sich bereit für ein Privatkonzert. Staatliche Aufträge bekommt sie jetzt nicht mehr. Sie war auf vielen Demos, hat viele Festnahmen gesehen. "Vielleicht haben die Angst vor uns, weil wir so viele sind. Aber der Platz in ihren Zellen reicht nicht für alle." Jagdszenen in Minsk – auch am Wahltag. Wer wie Opposition aussieht, wird weggeschnappt. Wer die alte Staatsflagge zeigt, ein Symbol der Opposition, auch. Ganz offensichtlich liegen die Nerven blank bei Lukaschenko. Und trotzdem: sie zeigen ihre weißen Bänder, sie hupen, sie recken die Faust. Ganz egal, welches Wahlergebnis morgen präsentiert wird: Belarus ist schon jetzt ein anderes Land.
Autorin: Ina Ruck, ARD-Studio Moskau
Stand: 10.08.2020 11:05 Uhr
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