So., 09.08.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Mexiko: Ärger um den "Maya-Zug"
"Mein zu Hause bedeutet mir sehr viel. Mein Leben, meine Geschichte". Guadalupe Caceres steht vor ihrem Haus in Campeche. Es soll abgerissen werden, hunderte Familien werden zwangsumgesiedelt. Platz muss her für den "Tren Maya", den Maya-Zug: Ein Infrastruktur-Projekt der Superlative auf der Halbinsel Yucatan.
Im Schatten der Corona-Krise hat Mexikos Regierung die Weichen gestellt: 1.500 Kilometer Strecke - von den Stränden Cancúns bis zu den Maya-Stätten im Dschungel. Auf der neuen Bahnstrecke sollen bald drei Millionen Touristen pro Jahr reisen. Das Projekt verspricht 80.000 neue Jobs. Eine Chance für die Region. Und eine Bedrohung zugleich – fürchten viele Nachfahren der Maya, nach denen der "Tren Maya" benannt ist.
Die Sorgen der Umweltschützer
Der Dschungel bedeute ihm alles, sagt Claudio Lopez. Nur hier sei er richtig glücklich. Wir treffen den Fremdenführer und Tierschützer mitten in seinem Element – einem der artenreichsten Regenwälder der Erde. "Die Natur hält hier immer wieder wunderbare Überraschungen bereit. Jetzt grade warte ich darauf, dass die Fledermäuse rauskommen." Es ist der tägliche Tanz der Vampire. Millionen Tiere verlassen hier jeden Abend ihre unterirdischen Höhlen. "Fledermaus-Vulkan" wird dieser beeindruckende Ort genannt. Claudio: wie immer begeistert – und doch macht er sich Sorgen. "Die Strecke dieses neuen Zuges wird ja offenbar ganz in der Nähe der Höhlen entlangführen. Die Vibrationen, die entstehen, könnten zum Abrutschen, zum Einsturz führen. Das alles könnte passieren, wenn der Zug hier vorbeifährt." Der Zug soll "Tren Maya" heißen – es ist eines der größten Infrastrukturprojekte der jüngeren mexikanischen Geschichte. Noch haben die Arbeiten kaum begonnen, doch staatliche Werbevideos weisen uns bereits den Weg.
Eintausendfünfhundert Kilometer Strecke, kreuz und quer über die Halbinsel Yucatan. Ein Milliarden-Vorhaben, auch für private Investoren. Neue Siedlungen neben alten Maya-Städten. Eine Zugverbindung für fast drei Millionen Touristen im Jahr – so der Plan der Regierungsbehörde. "Das Ziel ist es, einer Region zu helfen, die in den letzten fünf Jahrzehnten vergessen wurde", erklärt Rogelio Jiménez Pons, Chef Regierungsbehörde Fonatur. "Gleichzeitig ist es eine Region mit Ressourcen, von denen der Rest des Landes profitieren kann."
Neue Jobs und vertriebene Bewohner
Der Profit der einen, die Wut der anderen. Zu Besuch bei Guadalupe Caceres in der Stadt Campeche – an alten Gleisen, die für den Tren Maya neu ausgebaut werden sollen. Ihr Haus soll abgerissen werden. Eine persönliche Tragödie. "Mein Zuhause bedeutet mir sehr viel. Mein Leben, meine Geschichte. Hier habe ich mit meinen Eltern gewohnt, hier habe ich meine Kinder großgezogen." Es sind hunderte Familien, die alleine hier zwangsumgesiedelt werden sollen.
Anfang Juni war auch Mexikos Präsident Lopez-Obrador in die Region gereist, um den offiziellen Baubeginn der Strecke zu verkünden. Er habe die Aufregung rund um die Coronavirus-Pandemie genutzt, um beim umstrittenen Zugprojekt Fakten zu schaffen und Prozesse abzukürzen, sagen die Kritiker. Und doch: Auf unserer Tour entlang der Tren-Maya-Route immer wieder auch Stimmen für das Projekt. Der Zug könnte doch gerade nach der Corona-Krise viel in Bewegung setzen. "Eine solche Verbindung hätte große wirtschaftliche Vorteile", meint der Gastronom Kevin Baltazar. "Es würde mehr Besucher und damit mehr Jobs geben. Aus Cancun und anderen Touristenzentren könnten die Leute mit dem Zug einfacher herkommen."
Die Maya sind nicht begeistert von "ihrem" Zug
Noch aber sind Reisende wie wir auf Straßen und Autos angewiesen. Je weiter man auf Yucatan von der Küste ins Landesinnere fährt, desto einsamer und grüner wird es. Hier gibt es Adler, Klammeraffen, Jaguare und andere bedrohte Tierarten. Die neue Bahntrasse wird ihren Lebensraum weiter einengen.
Im Urwaldstädtchen Xpujil: ein Wiedersehen mit Tourguide Claudio. Die Infrastruktur-Pläne der Regierung sind im Ort ein großes Thema. Bald sollen hier mehr als zehn Mal so viele Menschen leben wie heute. "Das Problem ist, dass alles unkontrolliert wachsen wird. Die Preise werden steigen. Und wie in anderen Teilen Mexikos, wird dann auch hier das organisierte Verbrechen Einzug erhalten."
Wer also profitiert von Entwicklung und vermeintlichem Fortschritt? Im Land der Maya geht es immer auch um das Erbe der Geschichte. Claudio nimmt uns mit zu einem wichtigen Vertreter der indigenen Bevölkerung. "Der Name 'Tren Maya' ist eine Schande", sagt Nicolas Moreno vom Indigenen-Rat CRIPX. "Wir, das Volk der Maya, sind die, die diesen stolzen Namen tragen. Mit uns hat aber niemand gesprochen." "Das stimmt nicht", hält der Chef der Regierungsbehörde Rogelio Jiménez Pons dagegen, "wir stehen mit allen Gruppen in Kontakt und es wird weitere Konsultationen geben. Wegen der Pandemie ist der Austausch vielleicht etwas weniger geworden. Aber nochmal: Wenn jemand von dem Zug profitiert, dann doch die Indigenen." Und doch sehen viele Indigene ihre Sorgen wieder einmal nicht berücksichtigt.
Die letzte Station auf unserer Reise: Die Lagune von Bacalar. Ein türkisblaues Paradies, das leider in Gefahr ist. Die Biologin Melina Maravilla nimmt hier regelmäßig Wasserproben – mit alarmierenden Ergebnissen. "Bacalar hat so klare Farben – aber wenn das mit der Verschmutzung so weiter geht wie jetzt, könnte das hier kippen, und zwar ganz schnell." Lange war der Ort ein Geheimtipp, doch seit einigen Jahren kommen immer mehr Besucher hierher. Und mit ihnen: Hotels, Müll und Abwasser. Fehlende Kläranlagen und Wasserknappheit: schon jetzt gewaltige Probleme – und ab 2023 soll der Tren Maya ausgerechnet hier täglich tausende weitere Touristen ausspucken. "Wir können uns keinen Massentourismus erlauben. Schon jetzt können wir ja unser Ökosystem kaum schützen." Ein Zug wird kommen auf Yucatan, das scheint klar. Noch aber bleibt Zeit, um die ein oder andere Weiche anders zu stellen.
Simon Riesche, ARD-Studio Mexiko
Stand: 10.08.2020 12:59 Uhr
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