So., 17.05.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Belgien: Die Pommes-Krise
Cross, golden, salzig, heiß...1.000 Kalorien pro Portion – egal! Es geht schließlich um einen Akt der Solidarität! "Wir bitten unsere Landsleute: Esst künftig nicht nur 1x, sondern 2x die Wochen Fritten", so Romain Cools, Branchenverband Belgapom.
Möglicherweise das schlimmste Kartoffeljahr der Geschichte
Denn die Kartoffel-Silos sind randvoll. 5.000 Tonnen lagern bei Hervé Comijn. Die Ernte der vergangenen Saison. Im Moment wertlos. Solange Kantinen, Restaurants und Fast-Food-Ketten europaweit geschlossen bleiben, fehlt der Absatzmarkt. "Normalerweise bekommen wir 150 – 180 Euro pro Tonne – und jetzt sind es nur noch 10 bis 15 Euro. Die Lagerung ist auch teuer. Wir wissen nicht, ob sich der Markt erholt, und müssen entscheiden: Auf einen besseren Preis hoffen oder gleich als Tierfutter entsorgen", sagt Hervé Comijn, Kartoffelbauer aus Amay.
Die Comijns führen den Betrieb schon in 3. Generation – haben viel modernisiert. Keiner hier auf dem Hof erinnert sich dran, dass es Zeiten gab, in denen niemand Kartoffeln kaufen wollte. Es könnte das schlimmste Kartoffeljahr der Geschichte werden. Diese Kartoffel-Sorte heißt Fontane und ist speziell zum Frittieren gezüchtet, deshalb kann man sie auch nicht anderweitig vermarkten. Hervé Comijn will sich noch nicht geschlagen geben.
"Wir sind noch nicht so weit, dass wir sie wegwerfen oder weggeben müssen. Wir haben noch zwei Monate Zeit, sie frisch zu halten, bevor sie gammeln. Die Idee, jetzt 2x die Woche Fritten zu essen ist nett. Aber bei der Menge die wir haben, ist das ein Tropfen auf dem heißen Stein", erzählt Hervé Comijn, Kartoffelbauer.
Der Kartoffelberg – eine Katastrophe für den Familienbetrieb. In ganz Belgien droht 750.000 Tonnen Kartoffeln die Vernichtung. Entweder als Energieträger in Biogasanlagen oder eben als Tierfutter. Aber auch seine Kühe sagt der Bauer, könnten langsam keine Knollen mehr sehen.
5,3 Millionen Tonnen Kartoffeln jedes Jahr
Kein Land der Welt verarbeitet mehr Kartoffeln, als Belgien. 5,3 Millionen Tonnen jedes Jahr. Doch gerade laufen auch die Bänder in den Fritten-Fabriken nur mit halber Kraft. Aus Knolle wird hier Stäbchen. Die Fritte – das belgische Nationalgericht. Doch 90 Prozent der belgischen Pommes wandern normalerweise in den Export, ins europäische Ausland. Alle sind betroffen, also sollen auch alle gemeinsam aus der Misere kommen.
"Seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft 1957, hat der Kartoffelsektor noch nie um Hilfe gebeten. Aber jetzt ist eine außergewöhnliche Lage. Wir sind verzweifelt und wir hoffen, dass Europa und das Land Belgien unseren Bauern helfen kann“, so Romain Cools, Branchenverband Belgapom.
Die kartoffelverarbeitende Industrie hatte bislang einen jährlichen Umsatz von zwei Milliarden Euro. Jetzt stoßen die Tiefkühlkapazitäten an ihre Grenzen. Immerhin, die Fritterien dürfen nach und nach langsam wieder öffnen. Also nichts wie ran an die Pommes.
Pommes essen und die Tradition retten
"Alle glauben ja immer die Fritten kommen aus Frankreich, weil sie French Fries heißen – das ist falsch: Wir Belgier haben sie erfunden“, so Frederic Marlier, Fritteur. Deswegen ist jetzt eine gute Idee mehr Pommes zu essen, um die Tradition zu retten. Das Geheimnis der belgischen Fritte: 2 mal bei unterschiedlichen Temperaturen frittieren – in Rindernierenfett – nichts für Vegetarier. Aber das sind Belgier ohnehin selten. Sie essen, um den Fritten-Berg zu reduzieren:
"Ich versuche viele Fritten zu essen, um den Landwirten zu helfen.“
"Dieser Empfehlung kann ich mich anschließen, da bin ich ganz vorbildlich. Das mache ich sowieso.“
"Ich esse jeden Tag Kartoffeln, Püree, Salzkartoffeln, oder Fritten!“
Die Belgier opfern sich: Denn was wiegt am Ende schwerer – der nationale Bodymaßindex – oder die Rettung des belgischen Nationalgerichtes?
Autorin: Gudrun Engel/ARD Studio Brüssel
Stand: 18.05.2020 17:40 Uhr
Kommentare