So., 22.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Bergkarabach: Rückkehr nach dem Krieg
Es duftet wieder nach frischer Wäsche – nach Wochen von Krieg und Zerstörung in Bergkarabach. Die Mehrfamilienhäuser sind noch halb leer, doch Nana Galojan, ihre Mutter Tanja und deren Nachbarin Gayane Sahakjan können wieder in Ruhe draußen reden. Der Schrecken der vergangenen Wochen liegt den Armenierinnen noch in den Knochen.
Einige Gebäude in der Hauptstadt Stepanakert wurden schwer getroffen. Hier gibt es keinen Strom und kein Gas mehr. Katastrophenhelfer aus Russland begutachten die Schäden durch Raketen.
Leben im Krieg
Die drei Frauen haben sich vor dem Beschuss im großen Keller ihres Hauses versteckt. In jedem Kellerraum schliefen Menschen dicht gedrängt. In der Küche gab es Mahlzeiten in Schichten. Oft nur bei Kerzenlicht.
Doch Putins Russland hat in Bergkarabach lange dem Kämpfen zugeschaut. Russische Soldaten sind erst seit Anfang November vor Ort, um einen Waffenstillstand zwischen Aserbaidschan und Armenien zu überwachen, denn die aserbaidschanische Armee hat die Stadt Schuschi eingenommen, keine zehn Kilometer von Stepanakert entfernt – ein gefährliches Pulverfass. Trotzdem kehren Geflüchtete zurück nach Stepanakert.
Heimkehr
Auch Lena Hakobjan und Nina Andreasjan. Im Krieg haben sie Freunde verloren: "Es ist ein großes Unglück, das wir durchleben müssen. Das ist sehr schwer."
Vater Mher hat den ganzen Krieg an der Front verbracht. Sein Sohn, der Ehemann von Nina, hält dort jetzt noch die Stellung. Das Haus hat durch die Erschütterungen im Krieg leichte Risse bekommen. Sonst geht es der Familie den Umständen entsprechend gut: endlich wieder vereint.
Mher Hakobjan erinnert sich noch an die Zeiten vor 30 Jahren, als Aserbaidschaner und Armenier Tür an Tür lebten. Die Zeit vor den Massakern, Kriegen und Vertreibungen.
Vom Kakipflaumenbaum in Mhers Garten sind es nur noch ein paar Kilometer bis zu den aserbaidschanischen Stellungen.
Doch es verändert sich einiges: Aserbaidschan übernimmt in diesen Wochen bisher armenisch kontrollierte Gebiete, wie hier den Bezirk Kelbadschar im Norden von Bergkarabach. Armenier verlassen ihre Häuser dort, wo vor fast 30 Jahren Aserbaidschaner vertrieben wurden.
Nana Galojan und ihre Mutter haben jegliches Vertrauen in ein friedliches Abkommen mit Aserbaidschanern verloren. Dann kommt ein Nachbar vorbei, mit Tränen in den Augen. Reden möchte er nicht, aber es ist klar: Auch er hat einen schweren Verlust zu verkraften.
Autor: Demian von Osten, ARD Moskau
Stand: 22.11.2020 20:26 Uhr
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