So., 22.11.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
Iran: Vor neuer Eskalation?
Herbst 1980: Der Irak unter der Führung von Saddam Hussein, unterstützt von den USA, überfällt den Iran. Es ist der Auftakt eines blutigen Krieges; er dauert acht Jahre und endet ohne Gewinner, dafür mit fast einer Million Toten. Für den Iran ziehen damals zehntausende Jugendliche in den Krieg, oft aus tief religiösen und armen Familien. Tausende von ihnen verlieren ihr Leben oder werden schwer verletzt, auch Mohammad Taqhipoor. Wir treffen ihn an einem seiner Lieblingsplätze in Teheran, dem Stadtpark – für ihn eine friedliche Oase, erzählt er. Hier komme er immer wieder mit anderen Menschen ins Gespräch, gerade mit einigen Kindern. Sie fragen ihn, ob er einen Unfall hatte.
In den Krieg mit 15
Mit 15 Jahren zog Mohammad Taqhipoor in den Krieg, aus Überzeugung für den obersten Führer. In den Schulen wurde Kindern dieses Denken eingeimpft. Sein Einsatz dauerte nur wenige Monate: Eine Granate verletzte ihn schwer.
Monatelang lag er im Krankenhaus, beide Beine mussten schließlich amputiert werden. Der Krieg von damals ist in Teheran noch heute omnipräsent. Die Führung hält gezielt Feindbilder aufrecht, das ist längst nicht mehr der Irak. "Down with the USA" lautet der Schlachtruf der Hardliner.
Kriegsgebaren auch im staatlichen Fernsehen: regelmäßig werden neue Waffen präsentiert. Direkt am Tag nach der US-Wahl stellt die Islamische Republik ihr neustes Raketensystem vor. Vor wenigen Tagen macht dann ein Medienbericht die Runde: Trump habe in Erwägung gezogen, eine Atomanlage des Irans anzugreifen. Teheran droht zurück: Der Iran würde jeden Angriff Amerikas bitter vergelten.
Auch wenn er kein Systemkritiker ist, Kriegsveteran Mohammad Taqhipoor sieht sich mittlerweile als Pazifist. Seit einigen Jahren leitet er das Museum of Peace. Kriegsopfer erzählen hier von ihren ungeschönten Erlebnissen mit Krieg: "Die Bedeutung von Frieden kann man jungen Leuten in wenigen Worten erklären: Krieg muss man verdammen. Frieden muss man wertschätzen."
Wunsch nach Frieden – und Wohlstand
Viele Iraner haben nicht nur Angst – sie sind wütend. Darüber, dass das System Feindschaften und Konfrontation schürt und damit von den eigentlichen Problemen ablenke: politische Misswirtschaft, Korruption und harte US-Sanktionen treffen die Bevölkerung hart. Corona hat die Lage für viele dramatisch verschärft.
Bei vielen Iranern hat Bidens Sieg in den USA für etwas Hoffnung gesorgt: Er hat angekündigt, wieder über das Atomabkommen verhandeln zu wollen, dann könnten zumindest einige Sanktionen wegfallen, auch wenn viele hausgemachte Probleme bleiben.
Auf Dialog, statt noch mehr Konflikte hofft auch Mohammad Taqhipoor, schon alleine für die Zukunft seines Enkelsohns.
Autorin: Katharina Willinger, ARD Teheran
Stand: 22.11.2020 20:25 Uhr
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