Mo., 29.06.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Bosnien: Mein Vater, der Vergewaltiger
Alen ist frisch verliebt – seit drei Monaten und drei Tagen. Das weiß Alen genau. Es ist schön, ihn mit Dzenana so glücklich zu erleben. Der junge Mann, der über sich selbst sagt, dass er kein Kind der Liebe ist. Der mit dem Wissen leben muss, dass sein Vater ein Kriegsverbrecher ist. Ein bosnischer Serbe, der muslimische Frauen systematisch vergewaltigt hat.
Gezeugt in einem Vergewaltigungslager
Vor 22 Jahren, mitten im Bosnienkrieg, wurde Alen gezeugt, in einem Vergewaltigungslager in der Nähe seiner Heimatstadt Gorazde.Die schwer traumatisierte junge Mutter floh unmittelbar nach der Entbindung aus dem Krankenhaus und Ließ das Baby in den allgemeinen Kriegswirren zurück.
"Mein Leben dreht sich um dieses Krankenhaus"
Gorazde heute: Das Krankenhaus wurde komplett saniert. Alen Muhic arbeitet als Krankenpfleger in dem Hospital, in dem ihn seine Mutter zurückließ. "Ja! Das ist schon ein großer Zufall. Mein Leben dreht sich um dieses Krankenhaus. Dies ist nicht nur der Ort, an dem ich geboren und verlassen wurde, sondern auch der Ort, an dem ich eine neue Familie fand. Denn mein Adoptivvater hat als Hausmeister hier gearbeitet", erzählt Alen.
Auf der Suche nach Antworten
Im Jahr 2007 haben wir Alen das erste Mal besucht. Er war damals 14, lebte mit seinen Adoptiveltern in einem Häuschen bei Gorazde. Als die Sprache auf die leibliche Mutter und den leiblichen Vater kam, reagierten sie sehr emotional. Sagten: Sie seien sicher, dass Alen einmal nach den leiblichen Eltern suchen werde. Alen erklärte damals: "Nein, ich glaube nicht, dass ich sie kennenlernen möchte. Was sie mir angetan hat, kann man doch nicht verzeihen, oder? Sie hat mir ja nicht mal ein Andenken an sie gelassen. Ich habe nichts, das mich an sie erinnern könnte. Nein, ich will sie nicht sehen."
Acht Jahre sind seit damals vergangen. Alen ist ein junger Mann geworden und er hat seiner Mutter verziehen. Sie hat ihn über Facebook gefunden und angeschrieben. Er möchte sie gerne treffen – und nicht nur die Mutter, auch den Vater. Er will Antworten.
Alen kennt seine leiblichen Eltern
"Über meine Mutter weiß ich inzwischen, dass sie – nachdem sie aus dem Krankenhaus abgehauen ist und mich dort zurückgelassen hat – zuerst nach Kroatien geflohen ist. Dann ist sie in die USA gegangen, wo sie nach der Folter und den Vergewaltigungen psychisch behandelt wurde. Sie hat inzwischen dort eine eigene Familie, aber noch immer große psychische Probleme", erzählt Alen. Der Facebook-Kontakt ist wieder abgerissen. Zu einem Treffen kam es bisher nicht. "Was ich meiner Mutter sagen würde, wenn ich sie treffe?“ Oh, ich weiß nicht. Das ist zu früh. Aber ich würde gerne wissen, was zwischen ihr und meinem Vater genau passiert ist. Und ich würde sie fragen, warum sie mich als Baby verlassen hat."
Am nächsten Tag fahren wir mit Alen in die Nachbarstadt Foca. Er wollte selbst dorthin. Er weiß, dass seine Mutter dort von ihrem Peiniger festgehalten wurde. Er weiß auch, dass sein Vater noch immer mit seiner Familie, die er bereits während des Krieges hatte, in Foca lebt. Wir fahren mit ihm zum Sportheim, das damals das Vergewaltigungslager war. "Ich will wieder weg. Ich fühle mich nicht gut. Mich fröstelt es am ganzen Körper", sagt Alen. Und dann gesteht er uns, was wir nicht wussten, dass er bisher noch nie hier in Foca war. Obwohl es so nah an seiner Heimatstadt liegt. Er wollte es mit uns als Verstärkung versuchen. Aber er kann jetzt nicht mehr. Wir bringen ihn sofort zurück.
Alen weiß inzwischen auch einiges über seinen Vater. Er kennt die Bilder vom Gerichtsprozess gegen ihn. Radmilo Vukcic wurde wegen Vergewaltigung vom bosnischen Kriegsverbrechertribunal zunächst zu fünf Jahren Haft verurteilt, aber er ließ das Verfahren neu aufrollen, Zeuginnen hatten sich in Widersprüche verstrickt. Also kam er frei. Er lebt weiterhin in Foca. Alen möchte ihn treffen.
"Meine Mutter verurteile ich nicht"
"Sehen Sie, meine Mutter verurteile ich nicht, meinen Vater schon. Er ist zwar mein biologischer Erzeuger, aber er ist ein Kriegsverbrecher. Für sein Verhalten gibt es keine Entschuldigung. Ich weiß, dass er schon vor dem Krieg verheiratet war, damals eine kleine Tochter hatte. Ich will mit ihm reden, um zu wissen, was er für ein Mensch ist, um für mich einen Punkt hinter diese Geschichte zu setzen", sagt Alen Muhic.
Alens Geschichte wurde verfilmt
Und Alen hat ein außergewöhnliches Mittel gewählt, um seine leiblichen Eltern zum Reden zu bewegen. Er hat seine Geschichte von einem bekannten bosnischen Regisseur verfilmen lassen. Der Film hatte vor kurzem Premiere in Sarajewo. Er erzählt von der Suche Alens nach seinen Eltern und folgt Alen bis zum Haus des Vaters, der aber weiterhin jeden Kontakt verweigert. Tief im Innern hatte Alen gehofft, dass seine Mutter aus den USA zur Erstaufführung kommt. Der Regisseur hatte sie eingeladen. Aber sie ließ ausrichten, das schaffe sie psychisch einfach nicht.
"Er ist so mutig"
Auch wenn er seine leiblichen Eltern bisher nicht getroffen hat – Alen ist froh, dass er den Film gemacht hat. Er will den anderen Kindern aus Kriegsvergewaltigungen und ihren Müttern Mut machen. ihnen zeigen, dass man auch mit diesem Schicksal ein glückliches Leben führen kann.
"Er ist so mutig. Er wird immer meine Unterstützung haben. Er soll stolz auf sein Leben sein und ich bin stolz auf ihn", sagt seine Freundin Dzenana Gabela.
Autorin: Susanne Glass, ARD-Studio Wien
Stand: 05.07.2019 11:44 Uhr
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