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Argentinien: Wo Soja-Plantagen die Menschen krank machen

Argentinien: Wo Soja-Plantagen die Menschen krank machen | Bild: BR

Ein grüner Teppich, soweit man blicken kann: Riesige Felder – für manche Garant von wirtschaftlichem Wachstum, für andere schlichtweg die Hölle.

Soja für den Weltmarkt. Genmanipuliert und mit Chemikalien besprüht, resistent gemacht gegen Insektenattacken.

Moskitos nennen sich diese Traktoren, die mit ihren Sprüharmen Pestizide, Herbizide und Fungizide verteilen.

Seit ein paar Jahren setzt auch Eduardo mehr auf die Sojapflanze als auf Rinder. Eine wachsende Weltbevölkerung, Hunger – Soja ist gefragt und längst Argentiniens Exportgut Nummer eins.

Eduardo Horacio Bagnis
Eduardo Horacio Bagnis | Bild: Bild: BR

Eduardo Horacio Bagnis, Farmer:

»Die ganze Welt braucht Nahrungsmittel. Und wir fühlen uns verantwortlich und sehen es als unsere Aufgabe an, für diese Ernährung zu sorgen. Wir verstehen das schon so, dass die Biotechnologie Voraussetzung dafür ist, damit die weltweiten Hungerprobleme mit der Zeit gelöst werden können.«

Die Felder Eduardos liegen in der Provinz Cordoba, könnten aber genauso in anderen Regionen Argentiniens sein. Über 60 Prozent der Anbauflächen des südamerikanischen Landes gehören mittlerweile der Sojabohne. 60 Millionen Tonnen Soja – fast komplett für den Export im letzten Jahr produziert. Argentinien hat sich verwandelt. Rinderweiden, Getreidefelder und auch Urwälder wurden zu Sojalandschaften für ein Milliardengeschäft, das ohne Genmanipulation und diverse Pflanzenschutzcocktails nicht möglich wäre.

Ein Desaster für Umweltschützer wie den Biologen Raúl Montenegro. Er ist das ökologische Gewissen Argentiniens und Träger des alternativen Nobelpreises.

Raúl Montenegro und Michael Stocks
Raúl Montenegro und Michael Stocks | Bild: Bild: BR

Raúl Montenegro, Biologe:

»Das, was wir erleben, ist eine dreifache Tragödie. Die Vielseitigkeit der Landwirtschaft wurde reduziert. Die traditionelle Fleischproduktion ist zurückgegangen. Die Böden werden ausgelaugt. Es geht sehr viel Wasser verloren.«

Die schnell wachsende Hülsenfrucht bestimmt in vielen Regionen Argentiniens das Bild und auch politische Entscheidungen, erklärt Raúl.

Monsanto, einer der größten Produzenten diverser chemischer Schädlingsbekämpfungsmittel, sollte hier in Malvinas auch gleich die weltweit größte Verarbeitungsanlage für gentechnisch verändertes Saatgut bauen, so frohlockte die Regierung in Buenos Aires vor ein paar Jahren – ungeachtet der Proteste und Bedenken von Anwohnern.

Raúl Montenegro, Biologe:

»Das ist eine Fabrik, die die Gesundheit der Leute noch weiter gefährdet, wo wir doch hier sowieso schon so viel Gift abbekommen: Pflanzenschutzmittel und immer mehr Pflanzenschutzmittel.«

Das Projekt wurde begonnen, aber man hatte nicht mit dem Widerstand der Bürger von Malvinas gerechnet: "Keine gentechnisch veränderten Organismen und Giftsprühaktionen", ihre Forderung. Sie organisierten viele Kundgebungen in Cordoba und anderen Städten. Eine Rockband der Stadt namens Perro Verde machte das Thema lautstark landesweit publik. Der Widerstand brachte einen Teilerfolg: Der Bau der Fabrik wurde vorläufig gestoppt. Geblieben sind Unsicherheit, Angst, Krankheiten.

Raúl führt uns zu den Müttern von Ituzaingó. Ihr Dorf war umzingelt von besprühtem Gensoja. Die Mütter haben ihre Leidensgeschichte genauestens dokumentiert, Prozesse geführt und 2011 den ersten gegen die Giftspritzer gewonnen.

Marcela Ferreira, Mütter von Ituzaingó:

»In unserem Viertel gibt es sehr viel Krebserkrankungen, Menschen, die jung sterben. Und immer noch verlangt man von uns Beweise, dass es mit diesen Umständen zu tun hat.«

Sojalobby und Chemiekonzerne weisen Zusammenhänge zurück. Ihre Macht sei immens, trotz aller Eindeutigkeit, sagen die Frauen.

Norma Herrera und ihre Tochter
Norma Herrera und ihre Tochter | Bild: Bild: BR

Normas Tochter leidet seit Jahren an Krebs. Sie will mit niemandem mehr darüber sprechen, sagt ihre Mutter.

Norma Herrera, Mütter von Ituzaingó:

»Das ist ein Foto meiner Tochter von 2002. Da wurde bei ihr Leukämie diagnostiziert. Ich habe nicht genug Geld, damit sie eine anständige medizinische Behandlung bekommt. Ich verkaufe selbstgebackenes Brot. Das ist mein Leben. Wir halten uns mit Mühe über Wasser. Mir geht es nicht so gut wie den Sojabauern.«

Auch wenn die Plantagen nun mehr Abstand zum Wohnort halten müssen, das Gift sei immer noch da, sagen die Mütter. Kaum eine Familie hier ohne schwere Krankheiten und die Zahl der Fehlgeburten habe auch zugenommen.

Marcela Ferreira, Mütter von Ituzaingó:

»Für mich war es ganz furchtbar. Ich habe ein Kind bei der Geburt verloren, es war voller Missbildungen. Es sind zwar schon einige Jahre vergangen, aber es schmerzt bis heute.«

Ein Geschäft auf Kosten der Menschen, die hier leben, sagen die Mütter von Ituzaingó, und sie können ihre Vermutungen auch auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen.

Mediziner, Biologen und Chemiker wie Delia Aiassa sehen eindeutige Zusammenhänge.

Delia Aiassa, Universität Nacional de Rio Cuarto:

»Wir sind eine der Provinzen, wo die Krebserkrankungen deutlich über dem Landesschnitt liegen. Es gibt Probleme von Unfruchtbarkeit und Missbildungen bei Neugeborenen. Und sie nehmen zu. Viele dieser Fälle sind eindeutig aus den Gegenden, in denen viel gesprüht wird. Ich denke, es gibt wirklich genug medizinische Beweise, dass dieser Pestizideinsatz langfristig die Gene verändert.«

Der Sojaanbau in Argentinien nimmt weiter zu, wohl auch der Einsatz der Agrochemie. Weit über 300 Millionen Liter Pestizide sollen vergangenes Jahr über den Feldern versprüht worden sein – trotz aller Bedenken und Widerstände.

Raúl Montenegro, Biologe:

»Das ist eine Art von Anbau, die nicht nachhaltig ist. Die Sojapflanze braucht für einen hohen Ertrag immer wieder neue Chemiebehandlungen, damit sie widerstandsfähig bleibt. Und die Cocktails werden immer stärker. Also, für mich ist das kein Traum für unser Land, sondern nur ein Albtraum.«

Wegen der Sorgen der Bevölkerung setzte die Regierung eine Untersuchungskommission ein – ohne nennenswerte Ergebnisse. Soja ist wichtig für den argentinischen Staat. Er kassiert von den Erlösen 35 Prozent.

Autor: Michael Stocks, ARD Rio de Janeiro

Stand: 16.03.2015 00:36 Uhr

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