So., 07.06.15 | 19:20 Uhr
Das Erste
Bagdad: Beethoven gegen Bomben
Ein Flötenverkäufer in Bagdad bietet seine Ware an, vor Fassaden, von Bomben zerfetzt. Umgerechnet 2 Euro 50 kostet so ein bisschen Musik für den Hausgebrauch.
Marode Straßen, Werbeplakate für Milizen und überall Uniformen. Bagdad ist nicht gerade bekannt als Stadt der Musik. Karim Wasfi will das ändern. Und das hat viel mit ganz persönlichem Trotz zu tun. Vor etlichen Wochen packte er zum ersten Mal sein Cello aus, setzte sich auf den Gehweg und spielte. Damals war hier eine Bombe explodiert. Fünf Menschen starben.
Musik zum Gedenken, Musik als Ermutigung
Handwerker reparieren gerade die Schäden. Karim Wasfi will, dass die Handwerker Recht behalten, dass es sich lohnt, wieder aufzubauen. Er will, dass die Hoffnung nicht auch noch stirbt. Darum spielt er immer wieder an Orten von Anschlägen: "Die Terroristen vom Islamischen Staat haben beschlossen, jeden einzelnen Bereich des Lebens zu bedrohen. Damit werden jede Hoffnung und Inspiration gefährdet. Gerade deshalb setze ich auf Hoffnung und Inspiration, auf Ausdauer, Kultiviertheit und Höflichkeit."
Dschassim, der Mann im Rollstuhl, hat den Anschlag überlebt. Jetzt hörte er wieder die Klänge des Cellos, Bruchstücke der Melodie dringen doch durch den Straßenlärm. "Wir Iraker kennen nichts anderes mehr als Leiden", sagt Dschassim. "Krieg ist Normalzustand, Grausamkeit längst nicht mehr außergewöhnlich. Die IS-Terroristen wollen nicht, dass das irakische Volk zur Ruhe kommt. Unserem Volk wird großes Unrecht angetan, schon sehr lange."
In Bagdad explodieren Bomben, werden Menschen erschossen, Bücher geschrieben, Witze erzählt. All das ist Alltag. Kerim Wasfi will ein Zeichen setzten: dem Krach der Explosionen den Klang seines Cello entgegensetzen. Er ist überzeugt: Musik kann Menschen ändern:
Die Kraft der Musik
Karim Wasfi ist Dirigent des Irakischen Nationalen Symphonieorchesters – Rimski-Korsakow proben sie heute.
"Domino-Spielen im Café, ein schöner Abend, ein nettes Gespräch: Iraker sind einfache Leute, sie sind mit wenig zufrieden", sagt Karim Wasfi. "Warum müssen die Menschen in Bagdad immer fürchten, nicht mehr lebend heimzukehren?" Als naiv will er nicht gelten; er selbst ist 33 mal Bombenanschlägen knapp entgangen. Das müsse Schicksal sein:
Man könne sich dem Terror ergeben, meint Karim Wasfi – in Bagdad liegt das sogar ziemlich nahe. Seine Botschaft ist: Man kann sich auch anders entscheiden: für Kultur, für Musik, für das Leben.
Autor: Volker Schwenck, ARD Kairo
Stand: 08.06.2015 20:09 Uhr
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