So., 06.10.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Guantanamo: Besuch im Gefangenenlager
Die Reise beginnt paradiesisch schön, mit einem Blick über karibische Inseln. Einmal die Woche fliegt eine Chartermaschine nach Guantanamo. Journalisten bekommen ein Ticket nur mit Spezialgenehmigung.
Eine Fähre setzt über an die Nordseite der Bucht, Sitz des Armee-Stützpunktes und des berüchtigten Straflagers. Ab jetzt werden wir ständig begleitet. Die Regeln für unsere Pressetour sind streng: Nur wenige Bildmotive sind erlaubt, heißt es im Einführungsvortrag. Alles andere gefährde die nationale Sicherheit. Doch man wolle auch die Gefangenen schützen - vor uns:
Karin Dohr:
Ein weiblicher Presseoffizier:
Karin Dohr:
Presseoffizier:
Unsere Kamera steht immer unter Kontrolle. Der Blick auf die Bucht geht in Ordnung, doch schon die Autofahrt ins Lager ist tabu.
Hier ist ein Großteil der Gefangenen untergebracht, zurzeit 164 - bewacht von über 2000 Wärtern. Unsere Begleitung ist nervös: Die Angst vor Racheanschlägen durch Al-Kaida ist groß.
Man führt uns in leere Einzelzellen: Kleidung, Zahnbürste, Shampoo und eine Wärterin, die unerkannt bleiben will. Schuldig oder nicht, das sei hier keine Frage, versichert uns ihre Kollegin:
Eine Lagerwärterin in Guantanamo:
In dem einen Fernsehsessel pro Trakt dürfen Gefangene bei guter Führung bis zu vier Stunden pro Woche Platz nehmen – angekettet. Wer sich benimmt, darf auch in den Gemeinschaftsbereich oder zum Fußballspiel in den Hof. Als ich nach Problemen frage, heißt es denn auch:
Wir zeigen unsere Bilder einem Anwalt in Washington. Er vertritt 14 der Häftlinge. Für die Aussagen ihrer Wärter hat er wenig Verständnis:
David Remes, Guantanamo-Anwalt:
Unsere Tour nähert sich ihrem Höhepunkt, den maximal fünf Minuten, in denen man ausgewählte Gefangene beobachten darf. Das Licht wird gedimmt.
Karin Dohr:
Wir sollen schweigen, um niemanden auf uns aufmerksam zu machen. Doch plötzlich kommt dennoch ein Gefangener auf uns zu, in der Hand einen Zettel. Bevor wir Details erkennen können, wird der Dreh hektisch abgebrochen. Die Wächter scheuchen uns um eine Ecke. Als man uns wieder ans Fenster lässt, ist der Gefangene weg. Keiner will uns erklären was passiert ist.
Viele dieser Männer sind wohl unschuldig. Nach mehreren Untersuchungen wurden ursprüngliche Anklagen fallen gelassen. Doch ihre Freilassung wird politisch verhindert. Im Lager gelten sie weiter als feindliche Kämpfer. Auch Selbstmorde unter Gefangenen dienen als Beleg dafür, erklärt uns Guantanamos sogenannter "kultureller Berater".
"Zaki", "Kulturberater" Guantanamo:
Auch einer von David Remes‘ Klienten wurde vor einem Jahr tot aufgefunden. Er fällt ihm schwer, ruhig zu bleiben:
David Remes:
Man zeigt uns das Lager "X-Ray", in dem die Gefangenen in den ersten Monaten gehalten wurden. Brütende Hitze schon am frühen Morgen und winzige Käfige ohne Schutz - nur der Eimer, der als Toilette diente, fehlt. Wie Sehenswürdigkeiten wird all das präsentiert.
Anschließend entscheidet sich, welche Bilder wir behalten dürfen. Die Zensur läuft routiniert ab, sogar freundlich - doch verhandelt wird nicht. Ohne Erklärung wird manches gelöscht, Protest zwecklos.
Nur Harmloses soll übrig bleiben: Frisches Gemüse in der Küche - die Botschaft ist klar: hier werden die Gefangenen vorbildlich verpflegt. Sogar Rosinenkekse gibt's zum Kosten.
Fast alle, die wir treffen, wollen anonym bleiben. Auch die Gefangenen kennen die Namen ihrer Wärter nicht. Auf den Uniformen stehen nur Tarnnamen: Figuren aus Shakespeare-Dramen etwa oder amerikanische Städte. Wir sind im Lagerkrankenhaus.
Hungerstreikende werden hier zwangsernährt. Mehr als 100 Gefangene verweigerten monatelang feste Nahrung, aus Protest. Derzeit seien es nur noch 18, heißt es. Dass das Einführen der Magensonde extrem schmerzhaft sei, davon will man in Guantanamo nichts wissen. Mit ein bisschen Olivenöl gehe das ganz gut, erklärt man uns, ein Pfleger geht sogar noch weiter:
Krankenpfleger "Leonato":
Für Anwalt Remes der reine Hohn. Er besucht regelmäßig die Familien seiner Klienten, zuletzt in Jemen. "Wann kommt er endlich frei?" fragen sie ihn, oder: "Wie ist er gestorben?" Doch die Antwort auf diese Fragen, so sagt er, werden wir vielleicht nie kennen.
Autorin: Karin Dohr / ARD Washington
Stand: 15.04.2014 11:01 Uhr
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