So., 06.10.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Israel: Marihuana im Altenheim
Die Idylle des Kibbutz Naan, etwa eine halbe Autostunde von Tel Aviv entfernt. Mitten im Kibbutz ein ziemlich berühmtes Altersheim. Es war das erste weltweit, das seinen Patienten Cannabis als Medikament verschrieb. Cannabis – das ist Marihuana, allgemein als Droge bekannt. Jeden Morgen verteilen die Schwestern die Dosen. Cannabis zum Rauchen, zum Inhalieren oder als Tablette. In dieser Form bringt Schwester Inbal der 85-jährigen Rivka ihre Morgenration. Rivka litt unter massiver Arthritis, sie konnte nicht mehr gehen oder stehen. Eines Nachts wollte sie aufstehen und brach vor Schmerz zusammen.
Rivka Halop:
Rivka Halop:
Fast alle Patienten hier bekommen Cannabis, hier etwa in einem Schokopudding vermischt. Medizinisches Cannabis wird eingesetzt bei Entzündungen jeder Art, Arthritis, HIV, Parkinson, MS, Krebs, Psychotraumata und vieles mehr.
Bei Patienten wie diesen, die kaum noch Nahrung zu sich nehmen konnten, brachte Cannabis den Appetit zurück. Inbal als leitende Schwester dieses Altersheims, ist begeistert von den Ergebnissen.
Inbal Sikurin:
Die Erfahrungen der letzten Jahre und eine genaue Protokollierung der Dosen führte zu einer immer größeren Sicherheit in der Anwendung.
Inbal Sikurin:
Das Hadassa-Krankenhaus bei Jerusalem. Hier forscht Professor Gallily, von der wir genaueres zur Wirkung von Marihuana erfahren wollen. Cannabis enthält zwei wesentliche Wirkstoffe: das THC, das den Rauschzustand bewirkt, und CBD. Auf die Erforschung der Wirkungsweise des letzteren hat sich die Wissenschaftlerin in den letzten 15 Jahren spezialisiert.
Ruth Gallily, Immunologin:
Ihre Forschungsergebnisse zeigen, dass Cannabis oftmals Entzündungen besser bekämpft als herkömmliche Medikamente.
Ruth Gallily, Immunologin:
Dennoch wird in Israel Cannabis als Medikament immer populärer. Im ganzen Land gibt es Treibhäuser, die vor allem von der Gesellschaft "Tikkun Olam", zu Deutsch: "Heilung der Welt", betrieben werden. Hier wird Marihuana mit verschiedenen Stärken von CBD und THC gezüchtet. Das alles unter Überwachung und Kontrolle des Gesundheitsministeriums.
Wir besuchen einen Laden von Tikkun Olam mitten in Tel Aviv - streng bewacht vom staatlichen Sicherheitsdienst. Kranke kommen hierher, um gegen Rezept und Personalausweis ihre Ration für den Monat zu kaufen. Dass CBD entzündungshemmend und schmerzlindernd ist, wissen wir bereits, es gibt auch Fälle von Parkinson, wo das Zittern damit aufhörte. Doch auch der Wirkstoff THC, der den Rausch erzeugt, hilft vielen Menschen, vor allem Krebspatienten und solchen mit posttraumatischen Störungen.
Nochmal zurück ins Altersheim des Kibbutz Naan. Hier lebt der französische Holocaust-Überlebende Moshe Roth. Über 30 Jahre litt er an posttraumatischen Störungen: Schlaflosigkeit, Panikzustände, sogenannte Flashbacks in die entsetzlich Kindheit unter dem Hakenkreuz. Seit einem Jahr erhält er von Inbal Marihuana zum Rauchen.
Moshe Roth:
Mit all diesen positiven Erfahrungswerten, ist es fast verwunderlich, dass es auch in Israel noch Ärzte gibt, die Cannabis als Medikament ablehnen. Wir fragten Professor Gallily warum das so ist.
Ruth Gallily, Immunologin:
Doch der Siegeszug von Cannabis als Medikament scheint, zumindest in Israel, nicht mehr aufzuhalten zu sein. Die Wirksamkeit bestätigen all die Patienten, die sich dank Marihuana einer völlig neuen Lebensqualität erfreuen.
Autor: Richard C. Schneider / ARD Tel Aviv
Stand: 06.10.2014 13:54 Uhr
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