So., 14.07.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Israel: Ultraorthodoxe in die Armee
Wehrpflicht jetzt auch für die "Gottesfürchtigen"?
Eine fremde Welt, die sich für uns öffnet: als erstes Fernsehteam überhaupt dürfen wir hier drehen. In der Mir Jeshiva, einer der größten Talmudschulen in Israel, mitten im ultraorthodoxen Viertel Mea Shearim in Jerusalem.
Junge Ultraorthodoxe lernen hier bis zu 14 Stunden täglich die heiligen Schriften des Judentums - ein Leben lang. Sie dienen Gott und nicht dem Staat. Rund 40.000 junge Männer leben so in Israel. Seit Staatsgründung sind sie befreit vom Militärdienst.
Der Grund: David Ben Gurion brauchte für die Gründung des Staates Israel den Zusammenhalt aller Juden. Und so kam er den Ultras entgegen, erlaubte, dass ihre Studenten nicht dienen müßten. Damals waren das gerade mal 400. Heute, wie gesagt, sind es 40.000.
In die Armee zu gehen, das ist common sense in Israel. All diese ausgelassenen Israelis hier sind oder waren Soldaten. Sie feiern am ersten Freitag im Juli den Sommer. Dieses verrückte Wasserfest mitten in Tel Aviv ist ein großer Spaß. Keinen Spaß verstehen diese jungen Leute, wenn es um die Ultras geht, die nicht zur Armee wollen
Wir sind im Privathaus einer der wichtigsten Rabbiner der Haredim, der Gottesfürchtigen, wie sich die ultraorthodoxen Juden selbst nennen. Rabbi Shmuel Auerbach, ist einer der größten Gegner der Regierungspläne, Ultraorthodoxe einzuziehen. Auch diese Bilder sind einmalig. Noch nie durfte jemand seinen Talmudunterricht drehen, den er mit dünner Stimme für einen auserwählten Kreis hält. Direkt mit uns reden, das will er aber nicht.
Um mehr zu erfahren, gehen wir in sein Lehrhaus nebenan. Dasselbe Bild: junge Männer, die den ganzen Tag studieren. So auch Rabbi Yossi Petrov, der engste Vertraute von Rabbi Auerbach. Er erklärt uns die Hintergründe für die Verweigerung der Haredim Militärdienst zu leisten.
Unsere Frage: "Was antworten Sie einer säkularen israelischen Familie, die sagt: 'Warum soll unser Sohn sterben, aber eure Söhne nicht?'"
Ein Trupp im Einsatz zur Terrorbekämpfung. Wir sind im Westjordanland, in der Nähe einer israelischen Siedlung. Dies ist im Moment nur eine Übung. Das Besondere: Diese Soldaten sind ultraorthodox. Denn es gibt sie: die Gottesfürchtigen, die sehr wohl dienen wollen. 2500 sind es derzeit. 2500, die sich als Teil der israelischen Gesellschaft verstanden wissen wollen.
Für sie schafft die Armee Extra-Kasernen und -Einheiten. Denn diese Soldaten leben weiterhin nach den Regeln der Thora. Das heißt zum Beispiel auch, dass weibliche Soldaten nicht im Camp sein dürfen.
Rabbi Bar Chaim betreut diese jungen Männer. Er ist nationalistisch geprägt und erklärt daher den Soldaten, dass die Thora die Verteidigung des Volkes Israel anerkenne. Er muss ihnen immer wieder Mut machen, denn so manche wurden von ihren Eltern verstoßen, als sie sich für den Militärdienst entschieden.
Ein israelischer Checkpoint im Westjordanland. Auch diese Soldaten gehören zur ultraorthodoxen Einheit. Manche sind inzwischen ohne Bart, weil’s praktischer ist. Solche Zugeständnisse an das moderne Leben sind genau die Gründe, warum die Gottesfürchtigen das Militär ablehnen.
Wir begleiten eine Patrouille. Yossi traut sich als einziger mit uns zu reden. Er mochte das Thorastudium nicht, er wollte sein Volk lieber verteidigen.
Wir sind wieder in der Wohnung von Rabbi Auerbach. Er macht sich fertig für eine große Veranstaltung, um dort über die spirituellen Gefahren des Militärdienstes zu sprechen. Wie soll eigentlich die Zukunft Israels ausschauen, wenn diese Menschen, die pro Familie mindestens zehn Kinder haben, irgendwann die Mehrheit im Lande stellen? Auch diese Frage beantwortet nur sein Vertrauter:
Die große Versammlung der Haredim in der Kongresshalle Jerusalems. Tausende sind gekommen. Alle warten auf ihn: Rabbi Auerbach. Yosef Petrov gibt Signal, dass er kommt. Und dann tobt der Saal. Eine eindrucksvolle Demonstration der Verehrung aber auch des unbedingten Willens sich der säkularen Welt entgegenzustellen.
Und dann spricht Rabbi Auerbach: Er spricht von den Gefahren dieser Entwicklung, von der Bedrohung der jüdischen Tradition durch die Zionisten und die Armee. Nur die Thora zähle.
Worüber hier keiner spricht: Falls das Gesetz tatsächlich verabschiedet würde, bekämen die Talmudschulen kaum noch Staatssubventionen. Jetzt bekommen sie Steuergelder entsprechend der Anzahl ihrer Studenten. Dies ist also ein Kulturkampf und ein Kampf ums Geld. Und die Haredim haben den Fehdehandschuh der Säkularen längst angenommen.
Autor: Richard C. Schneider / ARD Tel Aviv
Stand: 15.04.2014 11:09 Uhr
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