So., 13.01.13 | 19:20 Uhr
Das Erste
Kenia: Tänzer im Rollstuhl
Seit seiner Erkrankung an Poliomyelitis kann der 32jährige Kenianer nicht mehr laufen.
Vor seiner Kür zum Hauptdarsteller eines Kunstexperiments hat er in einer Kleinstadt im Westen Kenias an der Hauptstraße gesessen und Maiskolben geröstet. Jetzt versucht er, unter Anleitung einer Deutschen die Tabus der kenianischen Gesellschaft sitzend oder liegend mit Tanzbewegungen darzustellen.
Behinderte haben es in Afrika noch viel schwerer als Behinderte in Deutschland oder anderswo in Europa: Sie werden nicht vom Staat unterstützt, häufig von ihren Familien eingesperrt und öffentlich beschimpft. Menschen mit einer Verstümmelung auf einer Bühne zu sehen, dürfte für die meisten Kenianer eine schockierende Vorstellung sein.
Nairobi, eine Megacity. Behinderte haben es hier schwer. Das Leben zwischen Hochhäusern - ein einziger Überlebenskampf. Viele sind obdachlos, müssen betteln.
Für den 36-jährigen Stephen kommt Betteln nicht in Frage. Er rollt heute Morgen schon ganz früh durch den dicksten Verkehr, um im Go-Down-Kulturzentrum mitten in Nairobi zu proben.
Unermüdlich feilt Steve zusammen mit den anderen Tänzern an einem Stück über Tabus. Die gemischte Tanztruppe will für mehr Toleranz gegenüber Behinderten in der kenianischen Gesellschaft werben, Vorurteile aufgreifen und die Arroganz gegenüber Behinderten, die Gewalt zeigen, der viele Behinderte, die auf der Straße leben müssen, ausgeliefert sind. Provozierende Bilder.
Der Alltag für Stephen, ein Kraftakt. Schon als kleiner Junge tanzte Stephen gern. Als er vier Jahre alt war, bekam er Kinderlähmung.
Entdeckt wurde Stephen von einer deutschen Choreografin, die selbst an Muskelschwund leidet und die Tanztruppe für ein internationales Kunstprojekt zusammenstellte. Seither treten die Tänzer in ganz Kenia auf. Ihre Stücke: ein Plädoyer für mehr Mitmenschlichkeit und Toleranz.
Früher hat Stephen auf Märkten wie diesen Maiskolben verkauft. Heute kauft er hier für seine Familie ein.
Doch Stephen stößt auch auf viel Ablehnung. Er hat gelernt, damit umzugehen.
Die Arbeit mit den Tänzern hat sein Selbstbewusstsein gestärkt. Stephen weiß, dass Behinderte in anderen Ländern vom Staat unterstützt werden, dass es woanders Rampen an öffentlichen Gebäuden gibt. In Kenia ist man noch weit davon entfernt. Sein täglicher Weg durch den Slum – eine einzige Herausforderung.
Mittags zu Hause warten seine Kinder schon. Sie haben die Behinderung ihres Vaters längst als normal akzeptiert. Stephen kommt gerade rechtzeitig, um zu trösten.
Mit seiner Frau Edith ist Stephen seit zwölf Jahren glücklich verheiratet. Sie sind im gleichen Dorf aufgewachsen, waren Nachbarn.
Seine Mutter war enttäuscht, als der einzige Sohn an Kinderlähmung erkrankte und glaubte an einen bösen Zauber. Sie lehnte ihn ab. Seine Großeltern sorgten dafür, dass er zur Schule gehen konnte, sogar auf ein Gymnasium und das will er auch seinen Kindern ermöglichen.
Auf der Bühne kann Stephen all seine negativen und positiven Erfahrungen verarbeiten. Hier hat er den Mut bekommen, das Publikum mit dem zu konfrontieren, was er in seiner Kindheit und auf der Straße erlebt hat: Sein Kampf im Alltag, die jahrelangen Erniedrigungen.
So halten sie dem Publikum den Spiegel vor, konfrontieren, um zum Umdenken zu bewegen. Alltagssituationen in einer Großstadt, wie in Zeitlupe festgehalten.
Mit dieser Botschaft reist die Truppe nun auch durch die Dörfer, denn dort leben in Kenia die meisten Behinderten.
Autorin: Birgit Virnich / ARD Nairobi
Stand: 22.04.2014 14:13 Uhr
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