So., 27.07.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Mexiko: Journalisten auf der Todesliste
In Mexiko achten befreundete Journalisten aufeinander. Man fragt, ob komische Dinge passiert sind, ruft öfter mal an, macht sich Sorgen, wenn man nichts hört. Als Marta Duran mich vor einigen Wochen anrief, war was passiert. Wenige Tage, nachdem ich sie zu einer Buchvorstellung begleitet hatte, bekam sie diesen kurzen Drohanruf: "Ich werde Dich töten!“ Ein Satz, den jeder Mexikaner ernst nimmt.
Marta Duran, bedrohte Journalistin:
Diese Buchvorstellung Ende Mai könnte ihr Feinde gemacht haben, glaubt Marta Duran. Die Autorin Arsène van Nierop hatte sie vor Jahren gebeten, ihr bei der Recherche für ihr Buch zu helfen. Es handelt von ihrer Tochter, die in Ciudad Juarez, im Norden Mexikos ermordet wurde. Die Holländerin war bei den Ermittlungen auf eine mexikanische Wand des Schweigens gestoßen. Ihr Buch klagt korrupte Behörden, in Verbrechen verwickelte Polizisten und schlampig ermittelnde Anwälte an. Der Fall hat internationales Aufsehen erregt und die verantwortlichen Stellen sind nicht scharf auf schlechte Presse.
Der Mann, der Marta am Telefon bedrohte, hat nicht einmal seine Nummer unterdrückt. Aber die Behörde, bei der sie Schutz sucht, behauptet, den Anschluss nicht ermitteln zu können. Wir begleiten Marta, als sie zum dritten Mal versucht, in das Schutzprogramm für bedrohte Journalisten aufgenommen zu werden. Aber die Regierungsangestellten schreiben wieder nur ihre Personalien auf.
Marta Duran, Journalistin:
In Veracruz zieht die Feuerwehr Plastiksäcke mit den verstümmelten Leichen dreier Fotoreporter aus einem Fluss: Die jungen Männer hatten Opfer des Drogenkrieges fotografiert. Ihre Arbeit wird ihr Todesurteil.
Weil die Mörder kaum Konsequenzen zu befürchten haben, setzen sie ihre Morddrohungen oft eiskalt in die Tat um. Seit 2000 haben sie 102 Journalisten umgebracht.
Vor gut zwei Jahren löste ein Mord eine Welle an Protesten aus, die aber ebenso schnell wie ergebnislos im Sande verlief: Die bekannte Reporterin Regina Martínez hatte Verbindungen zwischen Politikern und Drogenkartellen aufgedeckt. Am Tag nach der Veröffentlichung ihrer Reportage lag sie gefoltert und erdrosselt in ihrem Haus.
Oft haben die Kollegen die Tatenlosigkeit des Staates kritisiert. Einige haben aus Angst die Zeitung verlassen, andere wollen sich nicht einschüchtern lassen.
Rafael Rodriguez, Chefredakteur Proceso:
Marta Duran hat sich oft für andere bedrohte Journalisten eingesetzt, unzähligen Kollegen geholfen unterzutauchen oder aus der Anonymität heraus Texte zu veröffentlichen.
Diese Bilder mit Ana Lilia Perez haben wir vor gut einem Jahr in Martas Garten gedreht. Nachdem die junge Journalistin ein Buch über die Ölmafia veröffentlicht hatte, wurde sie bedroht, verfolgt, einmal von einem Auto von der Straße abgedrängt.
Ana Lilia Perez, Buchautorin und Journalistin:
Ihre Zeitung Contralinea hatte ihr erst den Auftrag zur Recherche gegeben, sich später, als Drohanrufe kamen, aber geweigert ihren Artikel zu drucken.
Ana Lilia Perez, bedrohte Journalistin:
Ana Lilia Perez hat Mexiko längst verlassen. Marta Duran will bleiben. Sie schreibt weiter, unterrichtet jeden Tag Journalismus an einer privaten Uni, aber sie ist vorsichtig.
Marta Duran, bedrohte Journalistin:
Marta weiß nicht, wer ihr Feind ist, ob er sie beobachtet. Es könnten die Killer eines Drogenbosses sein oder die Schergen eines Polizeichefs. Marta ist müde, weil sie ständig nachdenkt.
Mit dem Schritt in die Öffentlichkeit will sie auf die Missstände hinweisen, aber als Betroffene spürt sie, dass keine Hilfe kommt. Bis zur letzten Konsequenz will auch sie nicht kämpfen.
Marta Duran:
Autor: Peter Sonnenberg / ARD Mexiko-City
Stand: 28.07.2014 01:27 Uhr
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