So., 04.05.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Spanien: Wie die Politik das Ende der Krise beschwört
Irgendwie gehört es in Spanien schon zum Alltag: ein Protest, eine Demonstration oder wie hier eine Hausbesetzung – 17 Jahre lang stand dieses Gebäude leer.
Wir sind in Madrid, unterwegs mit Aktivisten der Indignados, der Empörten.
Dann geht es schnell – die Mütter gehen mit ihren Kindern in das Haus hinein, und schaffen so Fakten. Natürlich ist diese Besetzung illegal, aber die Aktivisten sagen: wir haben keine andere Wahl.
Isabel Tejero-Novelle, Bewegung der Indignados:
Gut vernetzt und organisiert sind die Aktivisten. Für die Presse wird ein Fototermin im besetzten Haus mit den neuen Bewohnern angeboten – fünf alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern sollen hier nun leben. Sie alle sind Opfer der Krise.
Nicht weit entfernt hat Ministerpräsident Rajoy vor spanischen Unternehmern seinen Auftritt und einen ganz anderen Blick auf das Land. Es gehe aufwärts, verkünden er und seine konservative Regierung, die Rezession ist beendet, die Wirtschaft soll in diesem Jahr um 1,2 Prozent wachsen.
Mariano Rajoy, Ministerpräsident Spanien:
Starke Worte wie aus einer anderen Welt, denn Spanien leidet weiter unter einer horrenden Arbeitslosigkeit: sie liegt bei knapp 26 Prozent.
Treffen in Madrids Viertel Tetuán: Eine Bürger-Plattform plant für die nächste Woche Hilfsaktionen für Bedürftige, denn die staatliche Unterstützung funktioniert nur unzureichend.
In Tetuán organisiert etwa Isabel zusammen mit anderen eine Lebensmittelbank. Jede Woche sprechen sie vor Supermärkten Kunden an, ob die nicht für Bedürftige zusätzlich Essen einkaufen könnten.
Sie alle hier kennen die Spirale nach unten – in Spanien gibt es zwei Jahre lang Arbeitslosenhilfe, aber danach in der Regel nichts mehr. Und so sind mittlerweile in ganz Spanien knapp 800.000 Haushalte ohne jedes Einkommen.
Isabel Tejero-Novelle, Bewegung der Indignados:
Zwei Welten in einem Land – schleichende Verarmung und großer Optimismus, alles eine Frage des Standpunkts.
An der Börse zeigt die Kurve nach oben, Spaniens Wirtschaft wächst wieder leicht. Auch im Wirtschaftsministerium sieht man das Ende der Krise gekommen. Die hohe Arbeitslosigkeit findet man inakzeptabel, aber rät zu einem langen Atem. Zu den Reformen gebe es keine Alternative – hier weht ein wirtschaftsliberaler Geist.
Luis de Guindos, Wirtschaftsminister Spanien:
Jeden Samstag werden in einem düsteren Gang die Lebensmittel an Bedürftige in Tetuán verteilt. Alles verschiedene Schicksale, aber eins haben die meisten gemein: sie sind Langzeitarbeitslose und fallen immer mehr aus dem sozialen Netz heraus.
Unter ihnen auch Irene Prior, alleinerziehende Mutter einer siebenjährigen Tochter.
Irene Prior-San Julian:
Bis vor einem Jahr war sie noch Chefsekretärin, dann wurde sie entlassen. Nun ist nichts mehr, wie es einmal war.
Das Kinderzimmer – ihre Tochter sollen wir nicht filmen, darum hat uns Irene gebeten. Hunderte Bewerbungen hat die 35-Jährige geschrieben, ohne Erfolg. Noch erhält sie Arbeitslosengeld, doch damit zahlt sie die Hypothek der Wohnung ab. Irene kämpft jeden Tag um ihre bürgerliche Existenz.
Irene Prior-San Julian:
Von ihrer Regierung wird sie nicht viel Hilfe erwarten können, die hat den Blick auf das große Ganze gerichtet, die Makroökonomie.
Luis de Guindos, Wirtschaftsminister Spanien:
Am nächsten Tag Aufregung bei der Lebensmittelbank von Tetuán – die Polizei hat ohne Vorwarnung das Depot mit allen Nahrungsmitteln versiegelt. Die Anweisung kam von der Stadtverwaltung, der die Räumlichkeiten gehören.
Isabel Tejero-Novelle, Bewegung der Indignados:
Und so gibt es wieder eine dieser vielen kleinen Demonstrationen, dieses Mal vor dem Rathaus von Tetuán. Symbolisch wird es von den Aktivisten versiegelt. Alltag in Madrid – Spaniens Krise ist längst noch nicht vorbei.
Autor: Stefan Schaaf / ARD Madrid
Stand: 05.05.2014 01:15 Uhr
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