So., 30.03.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Türkei: Internet als Waffe im Machtkampf
Wenn er durch die Straßen Istanbuls geht, begleiten ihn Leibwächter, 24 Stunden am Tag. Mehmet Baransu ist Journalist, schreibt Enthüllungsgeschichten. Vor Jahren war er Erdogans Liebling, als er über die Macht der Militärs schrieb. Heute berichtet er über Korruption in der Regierung. Drohungen, ihn dafür kaltzustellen, fand er als Telefonmitschnitt im Internet. Darin soll der Innenminister den Gouverneur von Istanbul auffordern: "Schafft mir den Baransu vom Hals, und wenn der Staatsanwalt nicht mitspielt, verhaftet ihn gleich mit.“
In die Redaktion traut er sich nicht mehr. Irgendwo in Istanbul hat er ein Büro angemietet und Überwachungskameras installiert.
Mehmet Baransu, Journalist:
Der türkische Ministerpräsident hat neue Feinde des Staats ausgemacht: Kritische Journalisten, die über Korruption in seiner Regierung berichten. Und das Internet, über das belastende Telefonmitschnitte und Videos veröffentlicht wurden.
Recep Tayyip Erdogan, Ministerpräsident Türkei:
Doch die Internetgemeinde verspottete Erdogan und die Twitter-Sperre, denn für technisch Versierte ist es leicht, die Sperre zu umgehen.
Die Zeitung, für die Mehmet Baransu schreibt, hat eine Auflage von 70.000. Auf Twitter folgen ihm zehnmal so viele. Twitter wird auch von Oppositionsparteien stark genutzt, weil sie in den Staatsmedien ignoriert werden.
Mehmet Baransu, Journalist:
Doch über das Internet hat Erdogan noch keine Kontrolle: Denn immer wieder tauchen Videos wie dieses auf, die die Regierung in Erklärungsnot bringen: Bilder von der Geldübergabe in einem Korruptionsfall, veröffentlicht auf Youtube. Oder wie am Donnerstag, Gesprächsmitschnitte, die belegen sollen, dass die Türkei einen Grund suchte, in den Syrienkrieg einzugreifen. Mit dabei der Außenminister und Geheimdienstleute: "Sollen wir Agenten einschleusen und die Türkei mit Raketen beschießen lassen?“ ist da zu hören.
Den Zorn des Ministerpräsidenten bekam auch Irfan Degirmenci zu spüren: Sendeverbot für seine Morgenshow. Er hatte nur, wie andere auch, über die Ergebnisse von Wahlumfragen berichtet. Sein Sender Kanal D lässt sich von Erdogan nicht unter Druck setzen. Immer wieder gibt er auch Tipps, wie sich die Leute Informationen über das Internet besorgen können.
Während seines Auftrittsverbots sendete er einfach live aus seiner Küche. Verbreitungsweg: das Internet.
Irfan Degirmenci, Fernsehmoderator Kanal D:
Am vergangenen Mittwoch ließ die Regierung auch die Internetplattform YouTube schließen, weil hier viele belastende Videos und Telefonmitschnitte veröffentlicht wurden.
Mehmet Baransu hat die meisten Fakten zu den Korruptionsvorwürfen ans Licht gebracht. Seine Unterlagen befinden sich jetzt auf mehreren Rechnern über die ganze Stadt verteilt.
Erdogan versucht die Internetquellen auszutrocknen – bisher mit wenig Erfolg. Eine davon ist die Hackergruppe "Redhack", die immer wieder in Regierungsrechner eingedrungen ist, vertrauliche Unterlagen kopiert, sie an Journalisten und Internetforen verteilt hat.
Sie wollen nicht erkannt werden, teilen uns aber in einer Audionachricht mit:
Der Versuch, das Internet zu beschneiden, ist bislang gescheitert. Doch sollte Erdogan durch die Kommunalwahl heute seine Macht in Gefahr sehen, wird es sicher zu weiteren Einschränkungen kommen.
Autor: Martin Weiss / ARD Istanbul
Stand: 15.04.2014 10:43 Uhr
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