So., 30.03.14 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Kampf gegen Genitalverstümmelung von Mädchen
Es ist vielleicht das letzte Tabu und es findet auch heute noch mitten in London statt, hinter verschlossenen Türen, in Wohnungen, in die nur selten ein Blick gelingt: Die genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen, die darunter ihr ganzes Leben lang leiden werden.
Frauen wie Muna, die mit sieben Jahren ihre Beschneidung nur knapp überlebte, oder Sarian, die ihr Kind per Notkaiserschnitt zur Welt bringen musste, weil man ihr nach der Beschneidung auch die Scheide zugenäht hatte.
Frauen, die nach außen ein ganz normales Leben führen. Dass sie als kleine Mädchen hier in England verstümmelt wurden, weil das bei ihren Müttern und Großmüttern in Afrika auch so war, hätten sie bis vor kurzem niemals offen ausgesprochen.
Sie und ihre Schwestern aber haben beschlossen, jetzt offen darüber zu sprechen, ihrer Töchter wegen, auch wenn es ihnen schwer fällt.
Und die Schmerzen bleiben, wie bei Priscilla oft ein Leben lang, beim Sex, beim Laufen – manchmal kommen sie einfach plötzlich mitten in der Nacht.
60.000 Mädchen und Frauen in Großbritannien sind Opfer dieser Praxis, und das sind nur die offiziellen Schätzungen.
Lisa Zimmermann wollte das zunächst nicht glauben, bis zu dem Tag, an dem sie die Mädchen ihrer Klasse zum Reitunterricht einlud und 12 von 15 absagten, weil das für sie zu schmerzhaft wäre:
Aber sie ließ sich nicht abbringen. gründete stattdessen eine Projektgruppe, in der sie die Mädchen ihrer Klasse zum Sprechen brachte.
Ein Mädchen:
Nach einem Jahr entwickelten die Mädchen hier gemeinsam ein Filmprojekt, in dem sie versuchten, ihre Angst und die Erinnerung an das, was ihnen widerfuhr, in Bilder zu fassen. Bilder, die sie sonst täglich begleiten. "Silent Scream“ nannten sie den Film, ein Film, der in kürzester Zeit eine halbe Million Klicks im Internet hatte.
Lisa Zimmermann:
Priscilla kennt diese Drohungen aus ihrer Community nur zu gut. Nach Sierra Leone, wo Teile ihrer Familie noch heute leben, würde sie so ihre eigene Tochter Esmeralda nie mitnehmen. Und auch in London lässt sie sie so gut wie nie aus den Augen:
Die Hoffnung, wenigstens ihre Tochter schützen zu können – Adama hat auch diese Hoffnung nicht mehr. Sie floh aus Gambia nach London, nachdem ihre Mutter, die Dorf-Beschneiderin sie zwang, ihre Nachfolge anzutreten. Seitdem wartet sie in einem Heim bei Heathrow auf Asyl. Ihr Gesicht will sie nicht zeigen, aus Angst um ihre Tochter in Gambia, die sie schon einmal verletzen musste:
Ob ihr Asylantrag Erfolg haben wird, ist unsicher. Aber zurück nach Gambia kann sie jetzt auch nicht mehr:
Denn zumindest in Großbritannien beginnt sich jetzt etwas zu ändern: Die Kampagne, die Lisa Zimmerman begonnen hat, hat weite Kreise gezogen und einiges erreicht: Ab April müssen Krankenhäuser Fälle von betroffenen Mädchen melden, im Zweifelsfall die Polizei einschalten. Der allererste Prozess gegen zwei Ärzte, die in London beschnitten haben, begann in dieser Woche vor Gericht.
Ein Hoffnungsschimmer am Horizont für Frauen wie Prisicilla und Sarian, deren Leid so zumindest als das anerkannt wird, was es ist: Ein Verbrechen.
Priscilla:
Autorin: Annette Dittert / ARD London
Stand: 15.04.2014 10:42 Uhr
Kommentare