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Großbritannien: Kampf gegen Genitalverstümmelung von Mädchen

Großbritannien: Kampf gegen Genitalverstümmelung von Mädchen | Bild: BR

Es ist vielleicht das letzte Tabu und es findet auch heute noch mitten in London statt, hinter verschlossenen Türen, in Wohnungen, in die nur selten ein Blick gelingt: Die genitale Verstümmelung von Mädchen und Frauen, die darunter ihr ganzes Leben lang leiden werden.

Eine Frau überquert einen Hof
Eine Frau überquert einen Hof | Bild: Bild: BR

Frauen wie Muna, die mit sieben Jahren ihre Beschneidung nur knapp überlebte, oder Sarian, die ihr Kind per Notkaiserschnitt zur Welt bringen musste, weil man ihr nach der Beschneidung auch die Scheide zugenäht hatte.

Frauen, die nach außen ein ganz normales Leben führen. Dass sie als kleine Mädchen hier in England verstümmelt wurden, weil das bei ihren Müttern und Großmüttern in Afrika auch so war, hätten sie bis vor kurzem niemals offen ausgesprochen.

»"Die machen Dir so eine Angst, dass Du nicht im Traum darauf kommst, darüber zu reden.“«

Eine Frau
"Die Schmerzen sind schlimm, und du weinst und weinst, tagelang." | Bild: Bild: BR

Sie und ihre Schwestern aber haben beschlossen, jetzt offen darüber zu sprechen, ihrer Töchter wegen, auch wenn es ihnen schwer fällt.

»"Sie verbinden dir die Augen, und so siehst du keine von den Frauen, die dir das antun. Erst als sie mit mir fertig waren und mich abgelegt haben im Nebenzimmer, habe ich sie gesehen. Die Schmerzen sind schlimm, und du weinst und weinst, tagelang. Du kannst nicht mal laufen tagelang danach. Es ist furchtbar, was sie uns angetan haben. Diese Verstümmelung, ist einfach sehr sehr schlimm.“«

Und die Schmerzen bleiben, wie bei Priscilla oft ein Leben lang, beim Sex, beim Laufen – manchmal kommen sie einfach plötzlich mitten in der Nacht.

»"Ich weiß nicht wie oft ich dadurch bin, und dann weiß niemand, was mit dir los ist. Meistens wissen die Ärzte nicht, was sie mit dir machen sollen. Ich habe alle Arten von Schmerzmitteln bekommen, die es gibt. Und manchmal nehme ich auch gar nichts mehr, weil ich vor Schmerzen oft fast ohnmächtig werde und gar nichts mehr mitkriege.“«

60.000 Mädchen und Frauen in Großbritannien sind Opfer dieser Praxis, und das sind nur die offiziellen Schätzungen.

Lisa Zimmermann
Lisa Zimmermann | Bild: Bild: BR

Lisa Zimmermann wollte das zunächst nicht glauben, bis zu dem Tag, an dem sie die Mädchen ihrer Klasse zum Reitunterricht einlud und 12 von 15 absagten, weil das für sie zu schmerzhaft wäre:

»"Ich war total schockiert. Und dann entschied ich: Etwas muss passieren. Alle Kollegen hier rieten mir ab, das Thema sei tabu, man könne eh nichts tun. Ich solle es doch akzeptieren.“«

Aber sie ließ sich nicht abbringen. gründete stattdessen eine Projektgruppe, in der sie die Mädchen ihrer Klasse zum Sprechen brachte.

Ein Mädchen:

»"Manche hier werden in den Sommerferien gezwungen, nach Afrika zu fliegen. Dann wird es da gemacht. Manche werden aber auch hier beschnitten. Manche wissen gar nicht, was ihnen da geschieht, bis es zu spät ist. Und wenn sie es dann ihren Freunden erzählen, sind die schockiert. Aber dann ist es zu spät.“«

Nach einem Jahr entwickelten die Mädchen hier gemeinsam ein Filmprojekt, in dem sie versuchten, ihre Angst und die Erinnerung an das, was ihnen widerfuhr, in Bilder zu fassen. Bilder, die sie sonst täglich begleiten. "Silent Scream“ nannten sie den Film, ein Film, der in kürzester Zeit eine halbe Million Klicks im Internet hatte.

Lisa Zimmermann:

»"Ich wurde beschuldigt, einen Porno mit ihnen gedreht zu haben. Mir wurde gesagt, weiße Frauen sollten sich da raushalten, und damit gedroht, dass die Mädchen auf der Straße verprügelt würden.“«

Priscilla kennt diese Drohungen aus ihrer Community nur zu gut. Nach Sierra Leone, wo Teile ihrer Familie noch heute leben, würde sie so ihre eigene Tochter Esmeralda nie mitnehmen. Und auch in London lässt sie sie so gut wie nie aus den Augen:

»"Ich bin immer bei ihr. Ich habe immer Angst, dass sie sie schnappen und doch noch beschneiden. Sie soll nicht in ein paar Jahren sagen: 'Meine Mutter hat mich nicht beschützt, sie hat mir das angetan.‘ So wie ich meiner Mutter vorwerfe, dass sie es mir angetan hat. Und deshalb bin ich immer in ihrer Nähe und pass auf, dass keiner sich ihr nähert hinter meinem Rücken."«

Adama
Adama | Bild: Bild: BR

Die Hoffnung, wenigstens ihre Tochter schützen zu können – Adama hat auch diese Hoffnung nicht mehr. Sie floh aus Gambia nach London, nachdem ihre Mutter, die Dorf-Beschneiderin sie zwang, ihre Nachfolge anzutreten. Seitdem wartet sie in einem Heim bei Heathrow auf Asyl. Ihr Gesicht will sie nicht zeigen, aus Angst um ihre Tochter in Gambia, die sie schon einmal verletzen musste:

»"Ich musste sie festhalten, als wir sie beschnitten haben. Sie war Fünf. Sie schrie und schrie nach mir als ihrer Mutter. Ich konnte nichts tun. Das tat so weh. Und ich durfte noch nicht mal weinen, denn das ist nicht erlaubt, wenn du selbst Beschneiderin werden sollst. Aber ich habe geschrien und da haben sie mich verprügelt. Ich habe die meisten meiner Zähne verloren dabei.“«

Ob ihr Asylantrag Erfolg haben wird, ist unsicher. Aber zurück nach Gambia kann sie jetzt auch nicht mehr:

»"Da habe ich die Wahl zwischen zwei Messern: Das eine liegt da für mich, damit ich die Mädchen beschneide. Das andere ist für mich. Wenn ich es nicht tue, dann bringen sie mich um. Deshalb hoffe ich, hier bleiben zu können.“«

Denn zumindest in Großbritannien beginnt sich jetzt etwas zu ändern: Die Kampagne, die Lisa Zimmerman begonnen hat, hat weite Kreise gezogen und einiges erreicht: Ab April müssen Krankenhäuser Fälle von betroffenen Mädchen melden, im Zweifelsfall die Polizei einschalten. Der allererste Prozess gegen zwei Ärzte, die in London beschnitten haben, begann in dieser Woche vor Gericht.

Ein Hoffnungsschimmer am Horizont für Frauen wie Prisicilla und Sarian, deren Leid so zumindest als das anerkannt wird, was es ist: Ein Verbrechen.

Priscilla:

»"Es ist keine Garantie, dass jetzt alles besser wird, aber wenigstens versucht die Regierung, das jetzt zu verfolgen. Wenigstens hier in diesem Land ist das ein Anfang jetzt.“«

Autorin: Annette Dittert / ARD London

Stand: 15.04.2014 10:42 Uhr

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