So., 24.02.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Brasilien: Angriff auf den Amazonas
Auf der Jagd – der Stamm der Awá auf der Suche nach wilden Affen. Plötzlich versammeln sich alle Jäger um diesen Baumstamm. Die Hunde haben angeschlagen. Und offenbar ein Tier in den hohlen Stamm getrieben. An den Hinterläufen zieht Takuari Awá ein Aguti heraus. Ein Nagetier. "Wir nehmen das Aguti jetzt mit nach Hause. Dann wird es gegessen", so Takuari Awá.
Der Stamm der Awá in Gefahr durch Abholzung
Ein Stück weiter sammeln die Awá Bacuri-Früchte. Unter der harten Schale verbirgt sich vitaminhaltiges Fruchtfleisch. Weiter oben finden die Indios nahrhafte Açai-Beeren. Die Awá leben im und vom Urwald. "Ohne den Dschungel würden wir vor Hunger sterben. Nur im Urwald finden wir Affen, Früchte und Nüsse", sagt Piraí Awá. Was die Awá gemeinsam jagen, essen sie auch gemeinsam. Eine Stammesgemeinschaft auf einer Fläche so groß wie Berlin. Einer der letzten Flecke unberührten Urwalds im brasilianischen Bundesstaat Maranhão. Affenfleisch gilt hier als Delikatesse.
Diese Indigenen kamen vor 37 Jahren zum ersten Mal mit der Außenwelt in Kontakt. Dass sie dennoch ihre ursprüngliche Lebensweise nicht verloren haben, verdanken sie der Indigenenbehörde Funai. Nonato Abreu ist für den Schutz der Awá zuständig.
"Ohne unsere Schutzbehörde Funai gäbe es diesen Stamm nicht mehr. Denn vor Jahren waren hier Holzfäller und Farmer eingedrungen. Als sie rausgeworfen wurden, waren sie bereits bis auf zwei Kilometer an das Dorf herangekommen", erzählt Nonato Abreu, Indigenenbehörde Funai.
Bauern sind angewiesen auf Reservat
An der Grenze des Reservats steigt jetzt wieder der Druck. Rinder weiden nur wenige Schritte entfernt. Die Funai registriert immer öfter, dass Eindringlinge Flächen im Reservat illegal abholzen, um Agrarflächen zu gewinnen. "Es gibt viele Leute, die Rinder aus Dürre-Regionen hierher bringen und sie im Schutzgebiet weiden lassen wollen, als wären sie die Herren des Gebiets", so Miro Cavacante, Indigenenbehörde Funai. "Dahinter stecken mächtige Farmer und Holzfäller, die erneut versuchen, in das Indigenengebiet einzudringen", so Nonato Abreu.
Raimundo Nogueira ist so ein Bauer, der früher jahrelang im Reservat Landwirtschaft betrieben hatte. Illegal versteht sich. "Als die Polizei kam wurde ich rausgeworfen. Rausgeschleppt! Die haben meine Enkel so gepackt. Ich konnte noch nicht mal meine Hängematte mitnehmen."
Sein neues Grundstück außerhalb des Reservats sei viel zu klein für seine Großfamilie, klagt Raimundo. Deshalb will er bald ins Reservat zurück. "Zuerst glaube ich an Gott, und dann an die Worte unseres Präsidenten Bolsonaro. Er hat versprochen, dass wir bald schon in das Reservat eindringen dürfen", erzählt Raimundo Nogueira Alencar.
Zukunft des Stammes ist ungewiss
Brasiliens Präsident Bolsonaro hat zu Beginn seiner Amtszeit die Schutzbehörde der Indigenen geschwächt. Er will Urwälder für Bergbau und Landwirtschaft freigeben. Passend dazu ist jetzt die Landwirtschaftsministerin für die Reservatsgrenzen zuständig. Bislang war sie die Wortführerin der Agrar-Lobby. Bolsonaros Regierung will die Anbauflächen für Baumwolle – und vor allem für Soja gewaltig vergrößern. Die Agrarbranche soll ihren Export nach China steigern.
"Wir können die Anbauflächen für Soja mehr als verdoppeln. Von heute 120 Millionen Tonnen werden wir bald schon 240 Millionen produzieren", so Fabricio Rosa, Verband Aprosoja.
Das wird kaum gehen, ohne weitere Urwälder abzuholzen. Der Druck der Farmer steigt – das bekommt auch die Schutzbehörde Funai zu spüren. Ihre Station bei den Awá wurde angezündet, eine klare Botschaft. Und: Nonato Abreu findet immer öfter Rinder, die unerlaubt im Gebiet des Reservats grasen.
"Den Farmern ist das völlig egal. Damals haben wir so viel getan, damit diese Eindringlinge aus dem Reservat verschwinden. Jetzt sind sie zurück. Und wir als Funai haben nicht die Befugnisse, sie rauszuschmeißen", sagt Nonato Abreu.
Das kann nur die Umwelt-Polizei, die gerade den Stamm der Awá besucht. Noch schützen die Beamten die Indigenen. Doch wie lange noch? "Wir fürchten uns davor, was passiert, wenn dieser Schutz bald wegfällt. Wir haben Angst um uns selbst und um die Indios", erzählt Nonato Abreu.
Die Gemeinschaft der Awá blickt in eine unsichere Zukunft. Denn ihr Stammesgebiet ist längst in den Fokus der Agrarlobby geraten – und die wird mit jedem Tag stärker.
Bericht: Matthias Ebert/ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 24.02.2019 20:00 Uhr
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