Mo., 08.10.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Brasilien: Demokratie in Gefahr?
Es könnte ein ganz normaler Gottesdienst sein – doch in Brasilien ist derzeit nichts normal. Gebete der evangelikalen Gemeinde von Rio. Heute nicht nur für Gott, sondern auch für einen ganz bestimmten Präsidentschaftskandidaten.
Der Pastor versucht erst gar nicht, politisch neutral zu bleiben.
Favorit mit radikalen Positionen
"Gott, bitte setze einen Mann als Präsidenten ein, der Dir ergeben ist und Deinen Namen ehrt. Einen Mann, der die Familie respektiert", so Luciano Barbosa, Assambleia de Deus/evangelikaler Pastor. Offene Werbung für ihn: Jair Bolsonaro. Der als rechtsextrem geltende Favorit in den Umfragen. Ein Freund der Militärs – und ein Freund der Diktatur. Bolsonaro hat sich früh im Wahlkampf vor einflussreichen evangelikalen Predigern deren Unterstützung gesichert. "Brasilien braucht einen Präsidenten, der ehrlich ist, ein Patriot und vor allem, jemand, der Gott im Herzen trägt", sagt Jair Bolsonaro, Präsidentschaftskandidat.
Die meisten der 42 Millionen Evangelikalen Brasiliens dürften für Bolsonaro stimmen. Auch wenn jeder hier dessen radikale Positionen kennt. "Er ist natürlich nicht perfekt oder ideal. Aber so wie Brasilien derzeit dasteht, brauchen wir jetzt einen Außenseiter. Deshalb wäre er der ideale Präsident", so Luciano Barbosa. Den Bibeltreuen gefällt, dass Bolsonaro über Homosexuelle herzieht. Und vorgibt, die traditionelle Familie schützen zu wollen. Dies sei wichtig, sagt Sueli Santos.
"Zuerst glaube ich an Gott und danach an Bolsonaro. Denn all die vorherigen Präsidenten haben nichts gelöst", findet die Wählerin Sueli Santos.
Polizei hat die Kontrolle über die Stadt verloren
Aufgedeckt wurde zuletzt ein riesiges Korruptionsnetzwerk. Schmiergelder zwischen Wirtschaft und Politik. Unternehmer landen hinter Gittern, ebenso wie hochrangige Politiker aller Parteien. Gleichzeitig nimmt die Gewalt zu: Die Polizei hat die Kontrolle über ganze Stadtviertel an Kriminelle verloren. Und in Rio patrouilliert das Militär auf den Straßen.
Nur einer der Kandidaten kann Bolsonaro wohl noch verhindern: Sozialdemokrat Fernando Haddad von der Arbeiterpartei.
"Ich werde unsere Öleinnahmen darauf verwenden, in Gesundheit und Bildung zu investieren."
Warum Sueli Santos dennoch den Rechtsaußen wählen will, zeigt sie uns nach der Messe: Straßenkinder und Obdachlose stören sie. Ihr Viertel sei unsicherer geworden. Dazu mischt sich die Angst, ihren Job als Putzfrau zu verlieren – und damit den mühsam aufgebauten Lebensstandard. Deshalb sehe sie über Bolsonaros Entgleisungen hinweg.
"Bolsonaro ist ein Spinner. Aber vielleicht braucht Brasilien genau so jemanden. Die anderen Politiker haben viel versprochen und wenig gehalten. Ich mag, dass Bolsonaro bislang kaum etwas verspricht", so Sueli Santos.
Evangelikale als Königsmacher? Gut möglich – für einen Präsidenten von der extremen Rechten in Brasilien.
Autor: Matthias Ebert / ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 28.08.2019 11:08 Uhr
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