Mo., 08.10.18 | 04:50 Uhr
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Italien: Mit Wein und Tomaten gegen die Mafia
Er hat Stress in diesen Tagen – Calogero Parisi. Die Weinernte läuft und bis zum Weinberg ist er heute gut zwei Stunden unterwegs. Calogero ist Chef einer von insgesamt ungefähr 140 Anti-Mafia Kooperativen in ganz Italien und bestellt insgesamt 50 Hektar Land. Land, das einst der Mafia gehörte. Land, das der Staat dann beschlagnahmt hat.
Mit Wein und Tomaten gegen die Mafia
"Wir fahren ins Gut 'Verbuncaudo'. Das Gebiet gehörte Michele Greco und wurde konfisziert. Greco war ein Boss aus Palermo, den man auch 'den Papst' nannte", erzählt Calogero Parisi, Leiter der Anti-Mafia Kooperative "Lavoro e non solo". Seit sechs Jahren bauen sie Wein, Weizen, Tomaten und Linsen an. Produkte, mit denen sie den europäischen Markt erobern wollen. So wie es andere Kooperativen auch schon tun. Doch beschlagnahmte Ländereien zu bestellen heißt auch, sich mit der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia anzulegen. Und die macht Calogero und seinen Kollegen regelmäßig das Leben schwer.
"Über die Jahre hinweg hatten wir mehrere Diebstähle. Es gab Beschädigungen in einigen Weinbergen. Dann gab es mal ein Feuer: vor zwei Jahren ging ein Linsenfeld in Flammen auf, wir haben rund 18 Hektar Ernte verloren. Uns ist nie was passiert, vielleicht, weil es auch nicht nötig ist. Denn Beschädigungen und Diebstähle machen einen auf lange Sicht mürbe, weil man dann kein Geld mehr zum Kämpfen hat", so Calogero Parisi.
Zwei dieser Traktoren wurden ihnen im Frühjahr erst gestohlen, deswegen sind sie bei der Ernte im Verzug. Heute erwartet Calogero Unterstützung bei der Weinlese, von Jugendlichen aus Florenz. Zwei Stunden Richtung Westen liegt die kleine Stadt Bivona. Die Clans hier in der Gegend, so heißt es, sehen sich als die stärksten der ganzen Insel.
"Die Behörden schützen uns nicht und ich glaube, dass die Mafia nur darauf wartet"
Wie stark sie sind, hat Ignazio Cutrò am eigenen Leib erfahren. Die Cosa Nostra hat den Unternehmer finanziell ruiniert. Die Familie wurde bedroht, nach Jahren der Personenschutz abgezogen. Entscheidung der Regierung. Wie groß seine Angst ist? – Zwischenstopp am Friedhof. "Ich wollte Euch diesen Ort zeigen, denn ich bin sicher, dass er früher oder später mein zu Hause sein wird", so Ignazio Cutrò.
Die Schreckensherrschaft der Mafia begann vor 20 Jahren. Ignazio hat schnell mit der Polizei zusammengearbeitet, seinen eigenen Mitschüler enttarnt. Dafür gesorgt, dass die Mafiabosse hinter Gitter gelangen. In den Zeitungen von damals war sein Fall über lange Zeit das Thema. Doch jetzt, sollte der Polizeischutz nach Jahren für seine Familie gestrichen werden. "Alle oder keiner" hat er gesagt, auch auf seinen verzichtet. Dabei weiß er aus Abhörprotokollen, dass die Mafia immer noch auf Rache sinnt.
"Glaubt ihr wirklich, dass die Mafiosi, die ich oder die andere Kronzeugen ins Gefängnis gebracht haben, vergessen haben, dass sie alles verloren haben? Es ist doch so, dass sie nur auf den Moment warten, dass die Behörden wie jetzt falsch entscheiden. Das heißt: die Behörden schützen uns nicht und ich glaube, dass die Mafia nur darauf wartet", sagt Ignazio Cutrò.
Für seinen Kampf hat Ignazio einen hohen Preis gezahlt: die Familie ist einsam, in Bivona wollen die meisten Leute – aus Angst – nichts mehr mit den Cutròs zu tun haben. "Ich fordere heute Unternehmer und Bürger auf, die Mafia anzuzeigen. Stattdessen ist die Botschaft, die in dieser Provinz aber auch anderswo ankommt: Wer Anzeige erstattet, wird allein gelassen. Dann ist doch klar, dass Unternehmer Angst haben, Anzeige zu erstatten", so Ignazio Cutrò.
Kämpfen für ein Mafia freies Sizilien
Zurück in den Weinberg zu Calogero und seinen Kollegen. Reich werden sie alle im Moment noch nicht von ihrer Arbeit. Das stört sie aber nicht. Jeder bekommt einen kleinen Lohn und was übrig bleibt, wird gleich wieder investiert. Immerhin müssen sie keine Steuern auf Hof und Ländereien zahlen. Die freiwilligen Helfer aus Florenz sind sehr motiviert, in den ehemaligen Weinbergen des Mafia-Bosses zu arbeiten. Weil sie gemeinsam anpacken, für eine Sache kämpfen: ein Mafia freies Sizilien.
Pietro Cardelli war vor vier Jahren als Schüler schon mal hier, heute findet er es großartig, andere Jugendliche aus Florenz hierher begleiten zu können. "Für ihr Schülerpraktikum haben sie sich ganz bewußt entschieden, hierherzukommen. Das ist ganz wichtig. Wichtig deshalb, denn wer die Mafia bekämpfen will, muss aktiv sein, was tun. Und hier arbeiten wir auf Mafialand, das vom Staat beschlagnahmt wurde".
Die neue Regierung muss erst noch zeigen, wie sie die Mafia bekämpfen will. Calogero ist skeptisch, erwartet von der rechtspopulistischen Regierung wenig. Er verlässt sich lieber auf seinen Kampfgeist und den seiner Mitstreiter. "Ich glaube, jeder von uns muss seinen Beitrag leisten, damit sich was ändert. Für mich heißt das: mir die Hände schmutzig zu machen, um eben ein anderes Sizilien aufzubauen", so Calogero Parisi.
Mit Wein und Gemüse gegen die Mafia. Dass sind die Waffen von Calogero und seinen Mitstreitern.
Autorin: Ellen Trapp / ARD Studio Rom
Stand: 28.08.2019 11:08 Uhr
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