Mo., 08.02.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Brasilien: Karneval der Korruption
Samba, Fröhlichkeit und tagelang der gleiche Rhythmus. Das Allerheiligste der Brasilianer – und das lassen sie sich auch nicht nehmen, obwohl das Land taumelt: leere Kassen, Rezession, Korruption. Also muss das auch im Karneval thematisiert werden, findet Djalma, Komponist dieses Karnevalvereins: "Es war echt schwer eine Inspiration zu bekommen, denn das letzte Jahr gab es ja nur schlechte Nachrichten. Daraus haben wir aber einen lustigen Samba komponiert. Damit wollen wir all unsere Probleme ausdrücken, statt sie in uns hineinzufressen." "2015 war echt ein schwieriges Jahr", sagt Carlos, sein Co-Komponist: "dominiert von Korruptionsgeschichten, wie die des Parlamentspräsidenten Cunha. Dieses Thema wollten wir mit Fröhlichkeit in unseren Samba bekommen."
Ihr Samba erzählt von der Jagd nach korrupten Wirtschaftsbossen und Politikern, und dem "Unbestechlichen", dem "japanischen" Ermittler der Bundespolizei, der immer zu sehen war, wenn gerade wieder jemand festgenommen wurde - die Ikone der Staatsmacht. Und es geht um Parlamentspräsident Cunha, der fünf Millionen Dollar Schmiergeld angenommen haben soll, entdeckt auf Schweizer Konten. Bei den Karnevalisten ist das ein Riesen-Thema: "Das ist die wertvollste Währung: der Schweizer Cunha. Da können andere Währungen nicht mithalten." "Der Karneval muss kritisch sein, deshalb laufe ich hier als der japanische Ermittler der brasilianischen Polizei auf."
Sparwelle beim Karneval
Der Karneval als Ventil: Proteste der Gesellschaft bei der Sambasause. Auf die verzichten will keiner, obwohl die Krise auch hier angekommen ist, wie uns andere Feiernde zeigen: "Schaut doch: ein Eimer, billige T-Shirts, die Shorts von der Schwester und Fröhlichkeit, das muss reichen."
So versuchen sie es auch in einer der größten Favelas in Rio: bei der Sambaschule "Academicos da Rocinha" arbeiten 120 Leute ehrenamtlich und leidenschaftlich rund um die Uhr, um die Kostüme für ihre 1800 Tänzer fertig zu bekommen. Es fehlen Sponsoren und Zuschüsse. Material aus den Vorjahren wird recycelt und von anderen Sambaschulen ausgeliehen. Für die wirtschaftliche Krise wird die politische Führung verantwortlich gemacht, sagt auch Alex Oliveira von den "Academicos da Rocinha": "Mit unserer Realität geben wir den Regierenden ein Beispiel, das denen als Spiegel dienen sollte. Sie sollen die Bedingungen der ärmeren Leute sehen. Die Politiker müssen sich verändern und sehen, dass die, die wenig haben, oft viel mehr Gutes machen, als die, die oben stehen."
Tiefe Rezession, elf Prozent Inflation – landesweit mussten einige Umzüge abgesagt werden. "Das ist der Karneval der niedrigen Preise", so lockt ein Verkäufer die Kundschaft an. Im Zentrum von Rio gibt es die Fachgeschäfte für billige Tücher und ausgefallene Masken. Und da ist auch er wieder, der "Unbestechliche"! Verkäufer Marcelo Cervos erklärt das Phänomen: "Die Leute haben genug von der Korruption. Und er nimmt sie halt alle fest. Deshalb kaufen sie jetzt gerne die Maske dessen, der die Korrupten verhaftet." Früher sind hier die Abbilder von Politikern der Renner gewesen. In der Fabrik in Rio sind die aber längst zum Ladenhüter mutiert. Der Japaner aber, der ist gefragt.
Wie kann man Korruption im Karneval darstellen?
Wochenlang haben Carlos und Djalma komponiert und überlegt, wie sie die Themen Korruption und den japanischen Ermittler in ihren Samba bekommen. Verschiedene Lieder wurden getestet und in ihrem Verein bewertet, bis schließlich die endgültige Version in den Straßenkarneval geschickt wurde. Djalma Junior von der "Imprensa que eu gamo" ist zufrieden: "Das ist die Art und Weise, wie wir uns politisch ausdrücken wollen, ohne Gewalt, Streit und Repression. Dabei küssen und beißen wir gleichzeitig, aber vor allem beißen wir." Sein Kollege Carlos Fidelis: "Es ist eine intelligente Art, die aber deutlich ist: Wir sind gegen Intoleranz, wir nutzen die Ironie, den Witz, die Poesie und die Party."
Die Party läuft jetzt auf ihren Höhepunkt zu: die Paraden der Sambaschulen im legendären Sambodrom. Dabei auch der wirtschaftlich krisengeschüttelte Verein aus der Favela, "Academicos da Rocinha". Der Auftritt lässt zumindest einen Moment lang jede Krise vergessen!
Autor: Michael Stocks, ARD Rio de Janeiro
Stand: 11.07.2019 02:12 Uhr
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