Mo., 21.03.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Brasilien: Kampf gegen die Zika-Epidemie
Wenn Pedro gebadet wird, dann macht er deutlich, dass ihm das gar nicht gefällt, so, wie vielen anderen Babys auch nicht. Soweit die Gemeinsamkeiten. Dieser kleine Junge hat Mikrozephalie, einen viel zu kleinen Kopf. Sein Gehirn konnte sich nicht vollständig entwickeln. Die Ärzte befürchteten nach der Geburt im Dezember, dass Pedro erblinden und weitere Behinderungen haben wird.
Der Schock nach der Geburt
Seine Mutter Lidiane Oliveira ist verzweifelt: "Als mir die Ärzte das erzählten, konnte ich nur noch heulen. Ich war fassungslos, schildert Lidiane die Momente nach der Geburt. Sie haben ihn zur Untersuchung auf die Intensivstation gebracht, weil sich seine Pupillen kaum bewegten. Er hatte hohes Fieber, erbrach sich ständig. Vier Tage lag er dort."
Ein Schock für die Eltern: ihr Sohn schwer behindert, nur weil ein Moskito Lidiane während ihrer Schwangerschaft mit Zika infiziert hat? Ihr Zuhause ist in Joao Pessoa im Nordosten Brasiliens im Bundesstaat Paraiba: ein tropisches Paradies und gleichzeitig eines der Armenhäuser Brasiliens. Das ist die Umgebung, wo sich Virus und Überträger offenbar am wohlsten fühlen, denn hier im Nordosten gibt es die meisten Infektionen in ganz Brasilien.
Angst in der Klinik
Lidiane geht mit Pedro alle paar Tage zur Untersuchung in die Klinik, in der Pedro zur Welt kam. Dort freuen sich normalerweise werdende Mütter auf ihren Nachwuchs. Doch nun sitzen sie meist verängstigt in der Sprechstunde.
Ärztin Juliana Vasconcelos nennt die Zahlen: "Die Realität hier ist, dass wir nun mit vielen Mikrozephaliefällen konfrontiert sind, was es zuvor nicht gab. Das ist im ganzen Bundesstaat so und in unserem Krankenhaus. Wir haben 20 Geburten am Tag, also rund 600 im Monat. Und seit Beginn der Epidemie haben wir nun 245 Mikrozephaliefälle, die nun alle untersucht werden müssen."
Pedro ist einer von ihnen, geboren mit der Schädelfehlbildung und den Symptomen, die viele betroffene Babys haben. Seine Muskulatur ist sehr steif, der ganze Körper verkrampft, auf Berührungen reagiert der kleine Junge oft sehr gereizt. Zu befürchten sind viele Behinderungen in seinem Leben. Ärztin Juliana Vasconcelos ist sich sicher: "Die Blutuntersuchung bei ihm hat eindeutig ergeben, dass er vom Zikavirus infiziert wurde. Das bedeutet, seine Mutter hatte sich während der Schwangerschaft mit Zika angesteckt."
Untersuchungen und Forschungsarbeit
In der Uniklinik von Campina Grande herrscht Hochbetrieb. Hier gibt es eine bessere medizinische Ausstattung als in den meisten Gesundheitsstationen des Nordostens. Viele besorgte Frauen wollen nun schon während der Schwangerschaft Gewissheit, wie es um ihr Baby bestellt ist. Ihre Furcht vor dem Zikavirus ist riesig. Ärztin Adriana Melo versucht deren Situation zu erklären: "Man muss sich das vorstellen: Du erwartest ein Kind und planst schon das Leben dieses Kindes – so sind Eltern – und dann gehst Du zur Schwangerschaftsuntersuchung und bekommst gesagt, alles wird anders. Und was noch viel schlimmer ist, wir sind meist nicht in der Lage vorherzusehen, wie schwer die Behinderungen sein können."
Seit Monaten beschäftigt sich Adriana Melo hier nur noch mit den Gehirnen, die zu klein bleiben, und der Frage, was löst dies aus: "Anfangs dachte ich, es muss noch mehr Gründe geben. Inzwischen glaube ich, es ist nur Zika."
Ursachenforschung im Nationalen Labor für Biowissenschaften in Campinas bei Sao Paulo. Die Wissenschaftler hier sind sich sicher: das Virus kam durch den Tourismus, womöglich während der Fussball-WM nach Brasilien. Und es gebe keine weiteren Ursachen für die Mikrozephalie, was zwischenzeitlich diskutiert wurde. Das hätten Untersuchungen an Tierembryonen ergeben.
Die Weltgesundheitsorganisation ist vor Ort
Xavier Neo vom Nationalen Labor für Biowissenschaften in Campinas analysiert: "Wir untersuchen hier den Modus, wie das Virus Entzündungen auslöst und dann im Körper reagiert. Welche Organe werden betroffen? Ein weiteres wichtiges Forschungsziel ist herauszufinden, in welchem Moment das Zikavirus den Embryo infiziert.“
Zurück im Nordosten, da wo das Virus am meisten wütet: Die Weltgesundheitsorganisation will mit einem internationalen Aktionsplan die Ausbreitung des Zikavirus bremsen. Doch dafür müssen noch viel mehr Informationen gesammelt werden. Seit ein paar Wochen ist hier ein Forscherteam von Amerikanern und Brasilianern unterwegs. Sie besuchen Familien, die in der letzten Zeit Familienzuwachs bekommen haben, gesunde Kinder und Babys mit Mikrozephalie. Die Frage ist zu klären, warum bekommt ein Elternpaar ein gesundes Baby, und das nächste eben nicht.
Hoffnung für Pedro?
Wissenschaftlerin Mariel Marlow ist optimistisch: "Unsere Ergebnisse sollten in ein paar Monaten vorliegen. Sobald unsere Erhebungen abgeschlossen und alle Proben in den USA ausgewertet sind."
Pedro ist jeden Tag bei der Therapie: Stimulation der Gehirnfunktionen und der Muskulatur sind essentiell. Es gibt nicht viele solcher Praxen von Physiotherapeuten hier im Nordosten. Auf Zika war hier niemand vorbereitet. Aber Pedro hat schon einige Fortschritte gemacht.Mutter Lidiane Oliveira hat Hoffnung: "Ich bin mir sicher, er wird laufen, sprechen, alles machen, was ein normales Kind tut. Ich glaube an Gott, dass alles ganz normal wird."
Draußen wartet schon die nächste Mutter mit ihrem Baby auf die Therapiestunde. Lidiane geht nach Hause, hoffnungsvoll. Aufgeben kommt nicht in Frage.
Autor: Michael Stocks, ARD Rio de Janeiro
Stand: 11.07.2019 09:53 Uhr
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