Mo., 21.03.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
Taiwan: "Regenbogen-Opa" rettet Dorf vor Abrissbirne
Haus, Haus, graue Maus: Taichung, Stadt für Millionen – ohne Gesicht. Doch wenn der Vorhang fällt und Luna leuchtet, steht einer auf und streicht sein Leben an – einsam und allein. Es ist drei Uhr morgens, und Yong-Fu Huang (93) pinselt sich warm. Farbe, das erkennen wir sehr bald, ist ihm ein ganz besonderer Saft:
Yong-Fu Huang: "Wenn ich Energie habe, dann stehe ich früh auf, bewege mich und male. Das ist wie Sport. Zwei meiner Kameraden sind schon gestorben, weil sie sich nicht bewegt haben. Und die waren viel jünger als ich. Nur manchmal, da hab ich’s im Knie."
Das bunte Militärdorf
Huang, Ex-Soldat und Autodidakt: er herrscht über Relikte eines alten Militärdorfes – wie ein Eremit. Alles sollte weg, Abrissbirne. Aber nicht mit Regenbogen-Opa. Der hat einen Plan: 'Ich male mir die Welt, wie sie mir gefällt'. So schön und bunt, dass alle sie lieben – auf ewig. Er malt, was er kennt, ohne Lehre oder Studium, nur mit Instinkt und Inspiration. Ein perfekter Plan und den jungen Besuchern gefällt es: "Er malt wie ein Kind. Schön. Und so farbenfroh." – "Er benutzt sehr viele Motive aus der taiwanischen Kultur. Das ist erfrischend und zeigt den bunten Charakter Taiwans." – "Ich finde, er hat hier etwas geschaffen für Hoffnung und Träume."
Der bunte Planet "Opa" ist nun eine Attraktion – für tausende Besucher täglich. Verzauberte Fans einer Fata Morgana. Da drückt der alte Mann schon den Quast aus. Er malt nachts, da stört ihn niemand, und er am Tage die Touristen nicht: "Viele Leute kommen zu mir und sagen: ‚Opa, ich liebe es!’ – Ehrlich gesagt: Ich verstehe das nicht, aber es gefällt ihnen."
Huang hat Geschichte mit dem Pinsel verteidigt. Aus Protest, Hausbesetzer? Er sagt, er wollte nur Spuren hinterlassen, denn das alles hier war einmal Militärsiedlung – für 1200 Familien. Nur elf Häuser stehen noch: im Knusperhäuschen-Look. Und die Bulldozer weit weg.
Der Segen der Stadt
Chi-Cheng Wang von der Stadtverwaltung Taichung ist zufrieden: "Die Kulturbehörde hat auf Volkes Stimme gehört und den Bebauungsplan geändert. Das Dorf darf weiterleben. Wir müssen seine Einzigartigkeit bewahren und planen sogar, Universitäten und Schulen einzubeziehen, um es weiterzuentwickeln."
Ein unbefleckter Winkel in Opas Farbenreich, denkmalgeschützt. Fast 900 Militärdörfer gab es mal in Taiwan für zwei Millionen Menschen. Die waren 1949 mit Chiang Kai-shek geflohen, von China nach Taiwan. Nur 13 Siedlungen sind noch da. Doch keine ist so verstörend betörend dekoriert wie die von Meister Huang – mit seinem metaphysisch-anarchischen Mix aus Folklore, Kinderzimmer und was ihm so im Fernsehen begegnet.
Ein Mädchen ist begeistert: "Das ist alles so lebendig hier. Als käme es auf einen zu! Ich mag das."
Wesen und Figuren
Manchmal purzelt tatsächlich was aus der Kulisse: Das Wesen im Tarnanzug nennt sich "Iron Man", singt, macht Musik und ganz lustige Fotos. Anfangs hat er sich selbst eingeladen, aber jetzt ist der Mann mit der Maske Teil des Gesamtkunstwerks.
Huang erklärt die Figuren, die er an die Mauern gemalt hat: "Das ist Chang Fei, ein Entertainer. Der kann alles. Die Kinder sind begeistert. Ich auch. – Hier sehen wir Lin Shu How, super Basketballspieler. Der sieht auch noch gut aus. Die Amerikaner lieben ihn. – Und hier, das ist Bruce Lee."
Zeitgenössische Kunst, neu definiert. Und so pinselt Regenbogen-Opa weiter an seinem Denkmal. Schaffenskrise, Malhemmung? Im Leben nicht: "Ich liebe Farben. Wenn ich Langeweile habe und mir was gefällt, dann male ich es. Ich hatte keinen Lehrer. Ich hab’ nicht mal die Grundschule zuende gemacht. Aber ein Flugzeug bin ich geflogen! Ein kleines nur, eine F-86."
Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Uns reicht schon dieses Märchen: Opa geht zum Regenbogen, und malt seiner Stadt ein Gesicht.
Autor: Uwe Schwering, ARD Tokio
Stand: 11.07.2019 09:53 Uhr
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