Mo., 13.07.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Peru: Die Grasbrücke
Ein malerischer Canyon und architektonische Inkakunst, die Leonarda und die Menschen hier häufig nutzen. Jetzt lieber nicht mehr. Denn die alte Hängebrücke aus Gras ist brüchig geworden und die meisten Menschen hier trauen sich nicht mehr rüber.
Leonarda:
Seit über 500 Jahren bauen die Inka und ihre Nachfahren jedes Jahr aufs Neue diese Brücke. Nur mit dem Gras aus dem peruanischen Andenhochland. Das Qoya Gras ist endlich reif und die Quechua Bauern wie Natividad schneiden es für diesen Mythos.
Ein Projekt indianischer Gemeinschaftsarbeit, denn alle Einwohner der vier Gemeinden aus der Umgebung arbeiten an der Brücke von Qu´eswachaka. Nachweislich seit über einem halben Jahrtausend, manche sagen, diese Tradition sei noch bedeutend älter. Überall an den Berghängen flechten die Menschen aus dem Gras meterlange Zöpfe.
Frage: Dieses Gras muss ja schon sehr besonders sein?
Valentina:
Rauch steigt auf am Canyon. Der Beginn der Zeremonie, die Schamanen haben Stellung bezogen. Die letzte Möglichkeit, noch einmal die alte Brücke zu überqueren.
Mit wackligen Knien und einem grenzwertigen Adrenalinspiegel geht es über den Rio Apurimac. Auf halber Strecke kehre ich dann vorsichtshalber doch lieber um, während die Schamanen die Geister beschwören und anschließend sagen, wären wir abgestürzt, hätten wir uns als Opfer für die Götter betrachten können.
Die Schamanen sind gefordert, ihre Opfergaben dauern nun bis zum Ende des Bauprojekts. So sollen Unglücke abgewehrt werden.
Die schafft er auch noch, Nachschub an Gras fehlt jedenfalls nicht. Alle packen mit an, es ist das wichtigste kulturelle Ereignis dieser Region.
Nach all den Jahrhunderten ist längst Routine eingetreten. Es muss nur abgehakt werden, ob schon genügend Seile angeliefert sind, damit dann aus den vielen dünnen Kordeln die dicken tragenden Seile für die Hängebrücke geflochten werden können. Ingenieurskunst vergangener Zeiten – und darauf sind sie stolz hier. Und mit Chicha, eine Art Maisbier geht alles sowieso viel leichter.
Dieser Arbeitstag geht zu Ende, die ersten tragenden Brückenseile sind fertig und werden schon mal zur Baustelle zur Schlucht gebracht. Ruhig ist es in den Anden und einsam. Die Nächte hier oben auf rund 4.000 Meter Höhe sind eiskalt. Hier haben wir unser Camp aufgeschlagen und kämpfen ein wenig mit der sauerstoffarmen Höhenluft und den frostigen Bedingungen.
Später am Vormittag, als die Sonne die Temperaturen in die Höhe schnellen lässt, kommen die Arbeiter oberhalb des Rio Apurimac längst schon ins Schwitzen. Die dicken Taue werden von den Männern über den Canyon gezogen, gespannt und in den Brückenpfeilern verankert. Die Ingenieure sind mit dem Resultat schon ganz zufrieden.
Es sind übrigens nur Männer, die direkt an der Baustelle sein dürfen. Frauen ist der Zugang verwehrt und so kann auch Leonarda nur aus der Distanz den Zwischenstand der Arbeiten bewundern.
Kleine Äste werden auch genutzt, damit wird eine Art Teppich gewoben, der später als Brückenweg dient. Und immer wieder muss noch ein paar Mal nachjustiert werden, bis die tragenden Seile der Hängebrücke auch wirklich straff genug sind.
"Ich bin sehr glücklich, wenn ich sehe, wie stabil unser Bauwerk ist, sagt Victoriano, der leitende Ingenieur. "Die Gemeinden fertigen heute viel stabilere und resistentere Seile als früher. Genau richtig für unsere Brücke.“
Vier Tage dauert es, dann ist das Werk beendet. Die Hängebrücke Qu´eswachaka ist fertig und die Menschen glücklich. Die nächsten 364 Tage können sie wieder problemlos den Canyon überqueren.
Autor: Michael Stocks/ARD Studio Rio de Janeiro
Stand: 08.07.2019 21:20 Uhr
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