So., 01.12.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Chile: Superfood Algen
Merkwürdige Gestalten an Chiles Stränden. Gisella Olguin und ihr Vater Miguel sind Algueros, Algensammler. Die Nachfrage nach speziellen Algenarten steigt. Gisella und ihre Familie sammeln vor allem die Cochayuyo-Alge. Ein traditionelles Nahrungsmittel, das schon die Mapuche-Ureinwohner kannten. Nun hat sie sogar in der Haute Cuisine Einzug gehalten. "Algen sind ein Superfood! Wir glauben, dass die Nahrung der Zukunft im Meer liegt. Bei der Alge", sagt Gisella Olguin.
Wann immer es die Wetterbedingungen erlauben, sind Gisella und ihr Mann am Meer. Algen fischen. Ein gefährlicher Job. Vom Meer hat Gisellas Familie gelebt, soweit sie zurückdenken kann. "Ich muss immer abwägen, wie weit ich mich hineinwage. Im Moment ist der Wasserstand etwas niedriger, aber ich kämpfe immer gegen die Kraft des Meeres an. Es ist immer gefährlich, aber wir müssen arbeiten", erklärt Felipe Arteaga. Heute sammeln sie auch die Blätter einer Alge, die ein Top-Restaurant in der Hauptstadt Santiago bestellt hat. "Für uns als Familie ist das Sammeln und Verkaufen der Algen unsere Lebensgrundlage. Auch wenn es harte Arbeit ist, macht es uns Spaß. Es ist eine gute Arbeit, sie liegt uns im Blut", sagt Gisella.
Die Nachfrage steigt
Die Bucht Bucalemu, etwa 260 Kilometer südlich von Santiago de Chile, die Heimat von Gisella und ihrer Familie. Die meisten Menschen hier leben vom Fischfang oder vom Algensammeln. 70.000 machen das an der langen Küste von Chile. Hier am Ort haben vor allem Frauen eine Fabrik aufgebaut. Für den Export der Ernte. Denn das meiste geht nach China und die Chinesen wollten hier sogar eine Fabrik bauen. "Wir haben uns gefragt, warum sollten wir den Chinesen diese Arbeit überlassen. Warum sollten wir es nicht selbst machen. Deshalb haben wir vor fünf Jahren diese Fabrik aufgebaut und Arbeitsplätze geschaffen. Jedes Jahr steigt die Nachfrage nach Cochayuyo. Wir brauchen mehr Kapazitäten", erzählt Firmenchefin Pamela Gonzalez.
Die Alge, ein Nahrungsmittel mit Zukunft? Davon sind sie hier überzeugt und Gisella voller Freude. Sie hat mit einem Restaurant in Santiago de Chile, das zu den 50 besten weltweit gehört, einen Liefervertrag abgeschlossen. Und heute bringt sie die Bestellung dem berühmtesten Koch und Restaurantbetreiber Chiles persönlich: "Es ist mir eine große Ehre, so ein renommiertes Restaurant zu beliefern." "Wer die Alge noch nie gegessen hat, könnte sagen – das esse ich nicht, ich mag die Struktur oder das Aroma nicht. Aber so, wie wir es hier zubereiten, stellen viele fest: es ist vielleicht das Leckerste, was man je probiert hat", erzählt Rodolfo Guzamán, "in Zukunft müssen wir wohl unsere Ernährungsweise überdenken. Algen können da eine wichtige Rolle spielen. Sie sind eine unglaubliche Proteinquelle. Sie enthalten Aminosäuren, die gut für die Entwicklung der Kinder sind. Geschmacklich können wir mit ihnen neue Richtungen entdecken, die wir in der westlichen Welt noch gar nicht kennen."
Alge als Nahrungsrevolution?
An neuen Produkten wird gearbeitet, Snacks für Kinder, hergestellt aus Algenmehl. Roberto Lemus, Ernährungswissenschaftler an der Uni Chile glaubt, in Zukunft mit Hilfe der Algen den Lebensmittelmarkt revolutionieren zu können. Zumal insbesondere die Cochayuyo-Alge nicht nur voller wichtiger Nährstoffe ist, sondern sogar auch heilende Wirkung haben soll. "Die Alge wird hier in Chile zwar in einigen Regionen auf sehr traditionelle Weise verzehrt, aber wir sehen auf dem Markt ein größeres Potential. Mit neuen Technologien, dem 3D Druck von attraktiven Formen, wollen wir sie populärer machen", findet er.
Gisella und ihr Vater schnüren Pakete der Cochayuyo-Algen, die sie hier zum Trocknen ausgelegt haben und jetzt reif für die Weiterverarbeitung sind. Tatsächlich ist der Großteil der Algen vom Meer angeschwemmt, nur ein kleiner Teil wird tatsächlich vom Meeresboden geerntet, denn sie wissen: Algen sind auch wichtig zur Bekämpfung des Klimawandels. Sie speichern CO2. Hier am Strand haben sich die Algensammler Holzbaracken hingestellt. Hier lagern sie die Algen und machen die Produkte für den lokalen Markt. Gisellas Familie verkauft sie dann täglich auf dem eigenen Marktstand im Ort.
Zwischendrin hat Gisellas Vater sein Netz ausgeworfen. Die Alge alleine reicht dann doch nicht für den Speiseplan. Und vom üppigen Fang lässt sich auch immer schnell was verkaufen. Auch ein Seelöwe, der die Aktion mitbekommen hat, geht nicht leer aus. "Ich liebe dieses Leben am Meer. Ich würde es mit keinem anderen tauschen wollen. Ich mag das einfache, ruhige Leben. Wir haben, was wir brauchen, das reicht", sagt Gisella. Ein glückliches Leben, dank der Algen und der Perspektiven die sie bieten.
Autor: Michael Stocks / ARD Rio de Janeiro
Stand: 01.12.2024 19:48 Uhr
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