So., 18.10.20 | 19:20 Uhr
Das Erste
China: Arbeitsboom in Zeiten von Corona
Der weltweite "FridaysForFuture“-Tag, Ende September. In ganz China trauen sich nur vier Jugendliche auf die Straße. Die 17-jährige Howey Ou hat den Protest in Shanghai organisiert. Sie will politische Veränderung erreichen. China hat den größten CO2-Ausstoß weltweit.
"Alle Regierungen begehen gerade die schlimmsten Verbrechen der Geschichte. Wir glauben, dass der friedliche Klima-Aktivismus in dieser Krise der richtige Weg ist", sagt Howey Ou. Nur wenige Minuten bleiben Howey, dann taucht die lokale Polizei auf. Howey bekommt einen Platzverweis, aber lässt nicht locker. Für den Abend sucht sie einen neuen Ort für ihre Kundgebung.
Wirtschaftswachstum vor Umwelt
Howey schwimmt gegen den Strom. Denn Wirtschaftswachstum um jeden Preis ist das vorgegebene Ziel. Umweltschutz hat gerade keine Priorität. Stahl und Zement: sie sind Hauptklimakiller, aber derzeit die tragende Säule für die monatlichen Wachstumszahlen. Seit Corona darf massiv auf Pump gebaut werden – weit über Bedarf, so die verbreitete Meinung von Ökonomen.
"Andere Länder gucken verwundert auf diese gewaltigen Investitionen. Zu viele Eisenbahnstrecken, Fußballstadien, Industrieparks, zu viele Straßen und Brücken. Die meisten Länder können sich noch nicht mal die nötigen Investitionen leisten. Aber China hat schon seit 10 Jahren diese Gelder ausgegeben, allein um erstaunliche Wachstumszahlen zu generieren", sagt Lauri Myllyvirta vom Center of Research on Energy and Clean Air.
Große Investitionen für mehr Arbeitsplätze
Hier in den riesigen Hallen zeigt das im Mai beschlossene Konjunkturprogramm seine Wirkung. Beim drittgrößten Baumaschinen-Hersteller der Welt arbeiten sie jetzt fast rund um die Uhr. Von jeder Produktionslinie rollt alle 25 Minuten ein neues Fahrzeug vom Band. Neue Arbeitsplätze soll der Bau-Boom auch schaffen. Viele Projekte wurden kurzfristig genehmigt, bei 21.000 sogar die Prüfung der Umweltauflage gestrichen. Corona Lockdowns und einbrechende Exporte – in China drohte Arbeitslosigkeit. Entsprechend glücklich sind sie hier über jeden Hilfsjob.
Wang Yongchang ist Arbeiter des Baumaschinen-Herstellers und erzählt: "Es ist alles gut: Wir können neue Straßen bauen helfen. Wir haben Arbeit und Essen." Auch Arbeiter Zhai Dayiao äußert sich positiv: "Wie kann man jetzt unglücklich sein. Man kann Arbeit finden, kann Geld verdienen."
Sogar mit neuen Kohlekraftwerken will China die Wirtschaft ankurbeln. Dieser Bau wird ganz offiziell als Armutsbekämpfungs-Projekt deklariert. Mindestens 25 Kohlekraftwerke sind in China in Planung. Dabei sind die derzeitigen Werke nur zu etwa 50% ausgelastet. "Die Neubauten haben erstmal nichts mit der Nachfrage von Elektrizität zu tun. Es geht allein darum Bauvorhaben zu generieren und damit Wirtschaftswachstum und kurzfristig Arbeitsplätze. Es gehört einfach zu dem großen Konjunktur-Paket", so Lauri Myllyvirta.
China will umweltfreundlich wirken
Vor fünf Jahren wurde im Ort der erste Kraftwerksblock gebaut. Damals gingen etwa 10.000 Menschen auf die Straße, demonstrierten gegen die Luftverschmutzung. Medien konnten frei darüber berichten. Heute sorgen schon unsere Dreh-Arbeiten für Ärger. Die Polizei folgt uns auf Schritt und Tritt – verbietet schließlich zu filmen. Wie die Anwohner die Erweiterung des Kraftwerkes finden? Wir wissen es daher nicht. Jede Äußerung dazu ist heikel. Denn Kohlekraftwerke gehören nicht zum Image, das China haben will. Das Land will als Öko-Supermacht strahlen – so die Vorgabe des Staatsführers.
"China hat das Ziel, bis zum Jahr 2060 CO2 neutral zu sein", versprach Chinas Staatsführer Xi Jinping vergangegen Monat bei der UN-Generalversammlung. Trotz des aktuellen Bau-Booms halten Umweltschutzorganisation wie Greenpeace das Ziel für umsetzbar. China ist Spitzenreiter bei Investitionen in Solar. Aber die 17-jährige Klimaaktivistin Howey Ou will sich nicht auf 2060 vertrösten lassen. Heute endet ihre Demonstration mit einer vorläufigen Festnahme. Sie muss auf der Polizeiwache eine Selbstkritik schreiben – Kritik an der Regierung ist in China tabu.
Autorin: Tamara Anthony/ARD Studio Peking
Stand: 18.10.2020 21:23 Uhr
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