Mo., 09.10.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Keine Armen mehr bis 2020?
Yunnan: Das Land südlich der Wolken, so nennen es die Chinesen. Trotz grüner Idylle ist dies einer der ärmsten Landstriche Chinas. Fast fünf Millionen Menschen leben in Yunnan in bitterer Armut, verdienen weniger als 290 Euro im Jahr. So erging es auch bis vor zwei Jahren den Menschen in Hebian. Doch Li Xiaoyun, Professor für Landwirtschaft am Xiao Yun Zentrum für Armutsreduzierung, hatte eine Idee. "Ich wollte eine strukturelle Lösung finden, um das Dorf aus tiefster Armut zu befreien", sagt er. "Etwas, was speziell auf dieses Dorf zugeschnitten ist, also eine Art von Industrie, mit der sie alle Geld machen können."
Finanzierung durch Crowdfunding
Seine Lösung: Er baut das ganze Dorf um zum Hotel. Gemeinsam mit den Dorfbewohnern bauen er und sein Team großzügige traditionelle Wohnhäuser. Für die Regierung ist diese Privatinitiative nun ein Vorzeigeprojekt. Sie unterstützt es durch zinslose Baukredite. Außerdem fand Herr Li Sponsoren. "In China hat das öffentliche Bewusstsein für Wohltätigkeit zugenommen", sagt er. "Es ist nicht wie früher, wo sich keiner um die Probleme der anderen gekümmert hat. 4.200 Leute haben online für dieses Dorf gespendet. Alle Fenster, die Toiletten, das alles ist durch Crowdfunding finanziert."
Das Dorf soll schöner werden
Raus aus dem ärmlichen Bauerndasein, rein ins Hotelgewerbe. Für viele Dorf-Bewohner noch sehr ungewohnt. Solange ihr Haus noch nicht fertig ist, kocht Lu Xiuzhen weiterhin über dem Feuer. Denn Strom oder fließend Wasser gibt es bei ihr noch nicht. "Wir wollen unser Dorf schöner machen, damit die Leute, die hierher kommen, es genießen und schätzen können", erzählt Lu Xiuzhen. Pan Yunzhen und seine Frau gehören zum Bergvolk der Yao, bisher lebten sie von dem, was sie in der Natur fanden. Zum Beispiel: Eier von wilden Hühnern, quasi 1-A-Bio-Eier von freilaufenden Hühnern, in China mit seinen vielen Lebensmittelskandalen purer Luxus. Die Reichen in den Metropolen wollen jetzt genau diese gesunden Eier von Herrn Pan. Bis vor zwei Jahren hatte er kaum Kontakt zur Außenwelt, nun schickt er seine Eier Tausende Kilometer weit. "Früher haben wir die Eier selber gegessen, heute verkaufen wir sie", erzählt Pan Yunzhen. "Wir haben Kunden in Peking und Shanghai. Die Nachfrage übersteigt das Angebot."
43 Millionen Menschen sind total verarmt
Gut verpackt fliegen die wilden Öko-Eier per Kurier in die Metropolen, für sieben Euro die Box. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in China immens groß. Es gibt eine Million Millionäre. Aber laut offiziellen Partei-Angaben sind noch 43 Millionen Menschen total verarmt, müssen mit nur 25 Euro im Monat auskommen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Die Regierung propagiert, bis 2020 die Armut gänzlich einzudämmen. Oft mit zweifelhaften Methoden wie der Zwangs-Umsiedlung von Millionen von Menschen. Die Propaganda ist voller Erfolgsmeldungen, aber so gut wie hier bei der Privatinitiative im Dorf Hebian läuft es bei Weitem nicht überall.
Reiche Gäste im Visier
Das erste Gästezimmer ist fertig. Die Übernachtung für eine Person mit Bad kostet 42 Euro, ein stolzer Preis für diese Gegend. Aber die Gäste aus den reichen Küstenmetropolen könnten ihn ohne Probleme zahlen. Sie sind es, die Li Xiaoyun im Visier hat, denn Chinas neue Mittelschicht ist auf der Suche nach ursprünglicher Natur, guter Luft. Dafür reisen sie von weither an. Zu jedem Preis, so die Hoffnung. "Dieser Gastraum ist komplett aus Holz. Wir haben ihn in das Wohnhaus der Familie eingefügt. Das Material für alle Möbelstücke ist lokales Holz. Die Menschen hier haben daraus zum Beispiel diesen kleinen Tisch selbst entworfen." Xiaoyun ist stolz auf sein Projekt, seit zwei Jahren pendelt er dafür zwischen Peking und Yunnan. Aber er ist auch Realist.
Wie wird das Experiment ausgehen?
Für ihn ist unklar, wie das Experiment ausgeht. Werden wirklich Touristen in diese abgelegene Gegend kommen? Und, viel wichtiger: Was wird passieren, wenn er sich zurückzieht und es der Dorfgemeinschaft überlässt. "Ich treffe Entscheidungen, damit die Effizienz erhöht wird, auch wenn manche im Dorf damit nicht klar kommen", sagt er. "Aber es gilt: ohne Effizienz keine Nahrung. Wenn die Häuser gebaut sind und die Straße fertig, dann müssen wir hier über Demokratie reden." Über Demokratie reden? So hatte sich Staatschef Xi Jinping das sicher nicht vorgestellt mit der Armutsbekämpfung. Aus der Armut zum Unternehmer und dann zur Mitbestimmung, das wäre wirklich ein wegweisendes Projekt im Ein-Parteien-Staat.
Autorin: Sascha Storfner, ARD Studio Peking
Stand: 31.07.2019 04:34 Uhr
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