Mo., 21.12.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Einer der letzten Parkfrisöre
Wenn Yu Dianying morgens das Haus verlässt, parkt sein Geschäft vor der Tür. Es hat drei Räder, eine kleine Ladefläche, aber genug Platz für alles, was ein Frisör so braucht. 77 Jahre alt ist Herr Yu, und die meisten davon hat er ungezählten Pekingern die Haare geschnitten. Nur den Führerschein hat er nie gemacht. Mutig nimmt er es trotzdem mit dem Gegenverkehr der Metropole auf, die so unermüdlich wächst wie die Haare seiner Kunden.
Der Park als Arbeitsplatz
Die Konkurrenz ist schon da im kleinen Xiangheyuan-Park von Peking. Nach rund 40 Jahren in einem staatlichen Frisörgeschäft begann er mit Mitte 50 hier als Parkfrisör. Der Traum vom eigenen Salon aus jungen Jahren war lange vorher zerplatzt im Chaos der Kulturrevolution. Danach gefiel ihm die Vorstellung nicht mehr, sich auch noch um Angestellte, Ladenmieten und Gehälter kümmern zu müssen: "Auf der Straße dürfen wir nicht arbeiten, aber hier stören wir den Verkehr nicht. Am Anfang durften wir auch hier nicht arbeiten, dann haben wir mit den Behörden gesprochen, schließlich haben sie es erlaubt."
Frisörsalon mit Ausblick: Schon morgens hat der Park seinen eigenen Rhythmus. Als Herr Yu hier vor gut 25 Jahren anfing, wohnten noch Familien auf dem Gelände. Doch die Straßen Pekings wurden immer breiter, der Park deutlich schmaler. Aber noch ist genug Platz für die vielen Rentner der Nachbarschaft – reichlich Kunden für die Parkfrisöre. Herr Yu kommt jeden Tag, auch am Wochenende, wenn es das Wetter zulässt, sogar bei Minusgraden.
Und die Luft sei hier besser wegen der Bäume, findet er. Vor allem ältere Männer und Frauen, aber auch Kinder lassen sich von Meister Yu, wie sie ihn nennen, die Haare schneiden. In den Salons der Stadt ist es deutlich teurer. Hier zahlen alle rund einen Euro. Doch wegen des Geldes ist er nicht mehr hier: "Wenn ich nicht arbeite, sitze ich zu Hause rum. Einige meiner Kollegen sind als Rentner richtig faul geworden." "Ja", meint der Kunde, "die Menschen sollten fleißiger sein." "Das Gehirn muss arbeiten, damit es nicht langsam wird", fügt der Parkfrisör hinzu. "Wenn man nichts tut, kriegt man schnell Demenz."
Als Herr Yu aus der Provinz nach Peking kam, gab es nur flache Häuser und kaum Autos. Vor einigen Jahren hat er eine Wohnung gekauft: zwei Zimmer für sich und seine Ehefrau Xiufang. Früher wohnten sie mit ihren drei Kindern und seinem Vater auf 18 Quadratmetern – staatlich zugeteilt. Später bekamen sie eine etwas größere Wohnung. Das Frisörgehalt war knapp, doch alle Kinder gingen zur Schule, haben mittlerweile Karriere gemacht, zwei sogar studiert.
Sein eigener Herr
Yu Dianying über die Vorteile als Parkfrisör: "Als in China die Reform- und Öffnungspolitik begann, bin ich frühzeitig in Rente gegangen. Ich wollte meine Arbeitsstelle ohnehin verlassen. Jetzt bin ich frei, ich kann arbeiten, wie ich will, und mich ausruhen, wann es mir gefällt."
Fotos haben sie kaum: Herr Yu als junger Frisör im noch abgeschotteten China und später ein Familienausflug. Heute haben sie vielmehr Freiheiten und genießen diese. Ehefrau Liu Xiufang sagt: "Menschen sollten mit ihrem Leben zufrieden sein; ich bin es. Unsere Leben ist glücklich und schön. Verglichen mit den Jahren, als es viele Einschränkungen gab, zum Beispiel in den 70ern, können wir tun und lassen, was wir wollen, solange es rechtens ist."
Sie bereisen die Welt: Indonesien, Südkorea und chinesische Provinzen.
Am Nachmittag wird es ruhiger im Park. Herrn Yu kennt jeder. Die meisten anderen Frisöre kamen viel später dazu. Herr Yu hat in China noch Zeiten erlebt, als etwa die Dauerwelle verboten war, dann wieder erlaubt und populär wurde. Heute schneidet er, was die Kunden wünschen, so sehr hätten sich die Moden auch nicht verändert, meint er. Aber mit manchen Frisuren könne er nichts anfangen, vor allem schrillen Färbungen. 20 bis 30 Kunden am Tag, einmal waren es 80. In den Pausen hält er seine Finger mit Nüssen fit.
"Ich habe keinen Plan. Ich arbeite hier, bis ich keine Lust mehr habe.", sagt der Parkfrisör.
Dann kommt alles wieder an seinen Platz, die Scheren, der Stuhl, gut verstaut und verpackt für die Fahrt durch den Abendverkehr. Die Haare werden später abgeholt vom Müllmann des Parks. Dass seine Kinder seinen Beruf ausüben, wollte er nie; zu anstrengend sei der, aber er weiß, dass sie ihm für seine Arbeit dankbar sind. Und bald geht er auch wieder auf Reisen, zu einem seiner vier Enkelkinder, nach Australien.
Autor: Mario Schmidt, ARD Peking
Stand: 10.07.2019 09:02 Uhr
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