So., 05.11.23 | 18:30 Uhr
China: neue Freundschaft mit Russland?
Auf politischer Bühne geben sich China und Russland als engste Freunde. Eine "grenzenlose Freundschaft" verbinde die beiden Länder, so heißt es offiziell. Eine Reise an der sino-russischen Grenze zeichnet allerdings ein anderes Bild. In der chinesischen Grenzstadt Manzhouli etwa boomt zwar der Handel: kilometerlange Güterzüge mit Kohle in die eine Richtung, Baufahrzeuge in die andere Richtung. China exportiert nun all die Güter, die der Westen sanktioniert, weil sie auch für einen Krieg eingesetzt werden können. Aber Menschen passieren die Grenze kaum: "Diejenigen die kommen, haben wenig Geld auszugeben", berichten die Händler in der Touristenstadt Manzhouli. Die Pelzmäntel, früher gerne gekauft von reichen Russen, sind jetzt Ladenhüter.
Händler profitieren vom Krieg
Cui Yongcai profitiert vom Ukraine-Krieg. Er betreibt Handel zwischen Russland und China und sein Geschäft boomt. Gerade zählt er in seinem Lager die Reifen durch, die ein russischer Kunde bei ihm bestellt. Autoteile sind Cui Yongcais Spezialgebiet. "Es gibt so viel mehr Nachfrage. Wenn das dieses Jahr so weitergeht, könnte sich der Umsatz unseres Unternehmens nochmal verdoppeln." Cui arbeitet ganz im Norden Chinas, an der Grenze zu Russland. Er bringt uns dort zur Zollgrenze. Seit dem russischen Angriffskrieg hat sich hier alles verändert: Wo vormals Leere war, steht nun die Ware dicht an dicht.
"Manzhouli ist der wichtigste Grenzübergang für Waren an der chinesisch-russischen Grenze. Hier transportieren sie gerade diese Baufahrzeuge heraus." Während die demokratischen Länder des Westens die Einfuhr solcher Güter verbieten, die im Krieg eingesetzt werden könnten, beteiligt sich China nicht an diesen Russland-Sanktionen. "China ist der große Bruder von Russland. Wir werden alles exportieren. Wie wir hier in der Region sagen: Alles, was die anderen Länder auf die Sanktionsliste schreiben, exportieren wir eben." Unsere Dreharbeiten sind unerwünscht. Wir fahren weiter. Direkt neben dem Grenzübergang bauen die Großhändler riesige neue Lagerhallen. Hier gehen die Geschäftsleute offenbar von einem langen Krieg aus, von dem sie profitieren werden.
Immer verfolgt von der chinesischen Polizei geht es zum Bahnhof der Grenzstadt Manzhouli. Auf 16 Gleisen bringen sie Ware nach Russland. Am anderen Ende des Bahnhofs die Einfuhr nach China: vor allem Kohle. Der Rentner Liu Changhuan verbringt hier viel Freizeit, er schaut lieber Züge als Fernsehen. So wird er Zeuge der Weltgeschichte. "Viele Züge. Sie brauchen sie, um so viele Waren zu transportieren!"
Der Warenaustausch nimmt zu. Aber viel weniger Menschen passieren die Grenze. Im Stadtbild von Manzhouli erinnern die kyrillischen Inschriften an die vormals vielen russischen Touristen hier. "Das Geschäft läuft nicht gut", klagt die Verkäuferin Tang Xiaoyun. "Es kommen so viel weniger russische Kunden hierher. Vielleicht wird es in Zukunft besser, aber das ist die aktuelle Situation." Auch sein Geschäft ist meistens leer. Er führt das auf den russischen Krieg zurück. Eine politische Aussage, die sich die meisten hier nicht trauen. "Der Krieg hat einen großen Einfluss auf die Wirtschaft", sagt Tan Xicheng. "Russen haben jetzt ein geringeres Einkommen. Ich verkaufe Pelze. Die haben ihren Preis. Wenn es der russischen Wirtschaft nicht gut geht, hat das große Auswirkungen auf unser Geschäft."
Die russisch-chinesische Freundschaft hat Grenzen
Etwa 80 Kilometer weiter nördlich entlang des Grenzflusses Argun. Die Dörfer auf der anderen Uferseite sind schon Russland. Aber jahrhundertelang kämpften China und Russland um die genaue Grenzziehung, in den 60er Jahren drohte deshalb sogar ein Atomkrieg. Auf der chinesischen Seite wohnt seit einigen Generationen eine russische Minderheit.
Es sind einige Tausende. In den sozialen Netzwerken verkaufen sie – in fließendem Chinesisch – russische Ware. Mit ihnen wollen wir über die chinesisch-russischen Beziehungen reden. Das Dorf mit seinen Holzhäusern wirkt wie Ausland innerhalb Chinas. Was aber typisch chinesisch ist: keiner hier darf mit uns reden. Ivan will gerade von seiner Familiengeschichte erzählen, da weisen die Aufpasser, die uns ständig verfolgen, seine Frau an, ihn zurückzurufen. "Sie sagen, wir dürften nicht mit Ihnen reden. Okay, hören wir also lieber auf."
Wir ziehen weiter. Wollen verstehen, was die Leute hier so anders als die Staatsführung darstellen könnten. Auch diese Frau erzählt uns nur, seit wann ihre Familie hier schon lebt. Unser Aufpasser nimmt alles mit seinem Handy auf, setzt die Frau später unter Druck, ihr Interview zurückzuziehen. Minderheiten überwacht die chinesische Regierung rigoros. Eigene Identitäten soll es nicht geben, selbst die Familiengeschichte wird daher schon zensiert. Hier endet offenbar die russisch-chinesische Freundschaft. Zurück in der Stadt Manzhouli beim Händler Cui Yongcai. Für ihn erfüllen die derzeit guten politischen Beziehungen zwischen Russland und China ihren Zweck. Die ersten Monate nach dem russischen Angriffskrieg kam er den Aufträgen fast nicht hinterher. Zumal es zu wenig Container für die ganzen Güter gab. Cui Yongcai spricht mit seinen Kunden fließend russisch. Auf seinem Handy hat er gerade Fotos von Zielfernrohren. Darf er die exportieren? "Das Prozedere geht so: der Kunde fragt bei uns und wir fragen dann bei der Zollbehörde nach. Wenn die ja sagen, dürfen wir exportieren, wenn sie nein sagen, dürfen wir nicht. Produkte wie Drohnen und Schutzwesten gehen auf keinen Fall. Die sind verboten." Wirtschaftlich lohnt sich die Annäherung der beiden Länder. Das zeigt diese Reise an die Grenze. Aber eine tiefe Freundschaft zwischen Russland und China haben wir nicht gefunden. Nur ein Bündnis, das seinen Zweck erfüllt.
Autorin: Tamara Anthony, ARD-Studio Peking
Stand: 05.11.2023 22:41 Uhr
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