Mo., 17.10.16 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Wenn der Immobilienmarkt "in Flammen" steht
Shanghai, sechster Stock: ein trostloser Flur. Der Makler führt durch die Dunkelheit. Eine Zwei-Zimmer-Wohnung steht zum Verkauf, etwa 80 Quadratmeter. Wie Feng ist seit zwei Jahren auf der Suche. Und jeden Tag werden die Angebote verrückter. Besonders schön ist das hier nicht. Die Lage ist immerhin gut, zentral. Der Ausblick ist jedoch bescheiden. Wie Feng hat sich etwas Gepflegteres erhofft. Was soll sie kosten, fragt er? Die Antwort schockiert ihn: Umgerechnet mehr als 1,1 Millionen Euro.
Wie Feng ist unzufrieden: "Offen gesagt, mein Wunsch zu kaufen, wird von der Wirklichkeit immer zunichtegemacht. Auch das hier ist so teuer, so alt, ich kann es mir nicht vorstellen."
Die Preise steigen
Willkommen in Shanghai, wo die Wohnungspreise gerade durch die Decke gehen. 20 bis 30 Prozent rauf allein in diesem Jahr – Wahnsinn hinter Wohnungstüren. Wer jetzt kaufen möchte und nicht gerade im Geld schwimmt, sucht immer verzweifelter, bevor alles noch teurer wird.
Wie Feng hat auch noch seine Eltern im Nacken. Er ist 31, soll endlich heiraten und spätestens da sollte man in China eigene vier Wände haben. Aber selbst für diesen schäbigen Wohnblock reicht es bei ihm nicht. Die Nachbarin beschallt das Treppenhaus mit ihrer Musik, das Schloss klemmt und vor dem Wohnzimmer ist auch was los: Großbaustelle – und bald wird es hier wohl dunkler. "Wird das ein hohes Gebäude?", fragt Wie Feng. "Ja, ein Bürogebäude", sagt der Makler.
Wohnungen als Investment
Er ist Akademiker, arbeitet im Export, verdient gut, etwa 3000 Euro netto. Das liegt über dem Durchschnittsgehalt in Shanghai. Diese kleine renovierungsbedürftige Wohnung soll aber 930.000 Euro kosten. Doch ein Käufer wird sich auch hierfür finden, meint Makler Mei: "Es gibt genügend Leute, die das Geld haben, aber nicht wissen, wo sie es investieren sollen. Wenn sie es in eine Immobilie stecken, denken sie, behält es seinen Wert. Auf dem Bankkonto kann es durch Inflation jeden Tag an Wert verlieren."
Er sucht eine vernünftige Wohnung, keinen Luxus, aber er steht mit vielen anderen im Immobilienabseits: "Für meine Vorstellungen reicht mein Portemonnaie nicht. Wenn ich was mag, ist es überteuert oder mein Budget reicht nicht. Und was ich mir leisten könnte, ist einfach nicht das, was ich suche. Das ist sehr frustrierend."
Kasse machen!
Bei anderen wächst die Angst vorm Platzen der Blase; sie machen jetzt Kasse: Zwei Zimmer, 70 Quadratmeter – über eine Million Euro. He Yi ist die Wohnung schnell losgeworden. Viele Käufer schielen nicht auf Mieteinnahmen, manche Wohnungen bleiben sogar leer, sie spekulieren auf weiter steigende Preise – gerade hier, wegen der Lage. Hausverkäuferin He Yi erklärt: "Wir liegen im Einzugsgebiet von zwei hervorragend ausgestatteten Schulen. Und alle Eltern möchten, dass ihre Kinder in einem guten Umfeld lernen."
Wer nur 200 Meter entfernt auf der anderen Straßenseite wohnt, darf sein Kind nicht auf die Top-Schule schicken – anderes Einzugsgebiet. Dafür sind die Wohnungspreise gleich 20 Prozent niedriger. Frau He findet es alarmierend, wenn selbst gute Gehälter mit der Preisentwicklung nicht mehr Schritt halten können. Und gleichzeitig müssen die Leute immer mehr Kredite aufnehmen: "Das ist alles nicht mehr normal. Es ist wie ein Feuer, das sich rasend schnell ausbreitet. Die Preise sind so rasant gestiegen, und es geht immer weiter. Bei jeder Investition müssen wir doch das Risiko abwägen. Wer investiert, muss wissen, wann man angreift, aber auch, wann man sein Geld schützen muss."
Rasante Preissteigerungen
Chinesen konnten in den 90er Jahren ihre staatlich zugewiesenen Wohnungen für wenig Geld kaufen. So sind viele reich geworden, denn in den Metropolen sind die Lagen heute Gold wert. Auch Jeffs Familie hat vom frühen Wohnungskauf profitiert: vor 20 Jahren, als sich der freie Häusermarkt gerade entwickelte, zogen sie in diese gut 100 Quadratmeter große Wohnung. Die Familie braucht sie nicht mehr, sie lebt überwiegend in Amerika. Dem Unternehmer wird der Wohnungsmarkt in Shanghai zu heiß. Den 24-fachen Kaufpreis hat er bekommen – eine hübsche Wertsteigerung. Und 800.000 Euro für die Wohnung in diesem Viertel sind ihm genug. Er will den Gewinn nun in Sicherheit bringen, auch wenn morgen der nächste Käufer wohl noch mehr bieten würde.
Unternehmer Jeff Liu beschreibt die Lage: "Chinesen besitzen gerne Immobilien. Wenn du mit Leuten redest und sagst 'Das ist mein Haus!', dann macht das was her. Das ist das eine, das andere: Wenn du mietest, kann es dir passieren, dass du rausfliegst, weil der Besitzer die Wohnung verkaufen will. Da hast du keine Stabilität."
Richtig raus aus der Stadt
40 Kilometer entfernt von Shanghais Zentrum: Wohnen im Grünen, ein großes Projekt, noch nicht fertig. Aber Feng ist interessiert. Zwischen 500.000 und 800.000 Euro sollen die modernen Drei- bis Vierzimmerwohnungen hier draußen noch kosten. Trotzdem gehen sie schnell weg. Auch die Günstigeren übersteigen eigentlich seine finanziellen Möglichkeiten. Nur wenn Fengs Eltern und die seiner Freundin zusammenlegen, dazu sein Erspartes und ein hoher Kredit, ist ein Kauf überhaupt denkbar. So ist es bei vielen chinesischen Familien. Die Wohnungen sind schön, guter Schnitt, um die 100 Quadratmeter. Der Haken ist die Lage, vor allem wenn man täglich über Shanghais verstopfte Straßen zur Arbeit in die Innenstadt muss.
Wie Feng wägt ab: "Hier habe ich eine gute Umwelt, ein gutes Haus, brandneu. Aber man opfert sein soziales Leben und Lebensqualität. Und man muss ein Auto kaufen."
Platzt die Blase?
Mit vielen Beschränkungen und Regulierungen für Käufer versucht die Regierung die Preisexplosion zu bremsen. Bislang hilft Feng das nicht. Abends ist er zurück im Zentrum, guckt nach neuen Angeboten. Bald wird vermutlich alles noch teurer sein; es sein denn, die Immobilienblase platzt, womit viele rechnen: "Ich denke, sie wird platzen. Die Frage ist nur wann: das weiß leider keiner. Ist es in einem Jahr oder in zehn Jahren? Ich kann nicht solange warten. Mein Leben ist hier. Wenn das so weitergeht, muss ich einen Kompromiss finden."
Bei der Größe des Immobilienmarktes würde ein Platzen der Blase aber ganz andere Probleme bringen, denn die Schockwellen könnten die Wirtschaft erschüttern, über Shanghais und sogar Chinas Grenzen hinaus.
Autor: Mario Schmidt, ARD Peking
Stand: 13.07.2019 00:39 Uhr
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