Mo., 30.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Vom Fischerdorf zum High-Tech-Labor
Vor 40 Jahren war das hier eine Ansammlung kleiner Fischerdörfer. Zwölf Millionen Einwohner, viele von ihnen arbeiten auch an unserer technologischen Zukunft. Der Aufstieg, kein Zufall. Denn in Shenzhen scheint alles möglich.
Drohnen als intelligente Alltagshelfer
Carsten Senz bestellt sich einen Kaffee und wartet auf die Lieferung von oben. Der 44-jährige Deutsche arbeitet seit acht Jahren für den Technik-Konzern Huawei. Auf dem Firmengelände bringt eine autonom fliegende Drohne den Becher. Testphase für den nächsten Mobilfunkstandard, das superschnelle und intelligente 5G-Netz. Autonomes Autofahren oder selbstfliegende Lieferdrohnen – 5G macht’s möglich.
"Wir sehen, dass die Drohne es geschafft hat, den Kaffee herzubringen, ohne dass er ausgeschüttet wurde, dabei ist es extrem wichtig, dass die Drohne absolut waagerecht stabil stehenbleibt. Dafür müssen mehr Daten immer schneller übertragen werden", erzählt Carsten Senz.
Firmen in Shenzhen fördern Zukunftstechnologien
Huawei ist international der drittgrößte Smartphonehersteller und auch bei der 5G-Entwicklung an der Weltspitze. Das Firmengelände ist so groß wie ein eigener Stadtteil mit Badelandschaft und Sportplätzen für die Mitarbeiter, denen das Unternehmen sogar zu großen Teilen gehört. Ein begehrter Arbeitgeber, der auch in Deutschland großer Zulieferer für Netzbetreiber ist.
180.000 Mitarbeiter weltweit – fast die Hälfte davon ist nach Unternehmensangaben in irgendeiner Form an Forschung und Entwicklung beteiligt. Für Carsten Senz ist es keine Überraschung, dass ausgerechnet Firmen aus Shenzhen bei vielen Zukunftstechnologien eine führende Rolle spielen.
"Die Herangehensweise ist sicherlich eine unterschiedliche. Während man in Deutschland sein gesamtes Business und seine Produkte langfristiger plant, ist es in China und vor allem in Shenzhen so, dass es darum geht, Dinge umzusetzen, zu machen. Hier sitzen die Macher."
Mülltonnen, die melden, wenn sie voll sind
Auch bei der vernetzten Stadt ist Shenzhen weit fortgeschritten. Beispiele aus dem Huawei-Firmen-Showroom. Mülltonnen, die melden, wenn sie voll sind – und ein Kontrollraum für die Stadt, wo alle Daten etwa von der Feuerwehr bis zur Zahl der freien Krankenwagen zusammenlaufen und künstliche Intelligenz hilft, den Verkehr effizienter zu lenken.
Hier wird an einem anderen Zukunftsbereich gearbeitet. Zu den Machern in Shenzhen gehört auch James Zhou. Er hat eine Roboterfirma gegründet, 1.000 Mitarbeiter. Die Erfolgsmodelle – noch viel Spielerei, sie tanzen, haben Kommunikationsprogramme oder sind zum Selberbauen.
Doch auch in Unternehmen ziehen seine Roboter ein. Dieser gibt Auskunft und weist in mehreren Kaufhäusern schon den Kunden den Weg. Auch für James Zhou ist die Mentalität von Shenzhen ein Grund für den Erfolg.
"Lassen Sie mich ein Beispiel geben: Wenn wir ein Model entwickeln, sagen wir in den USA im Silicon Valley, oder anderswo, etwa in Peking, kann das ziemlich lange dauern, wir brauchen dort vielleicht drei bis vier Monate, aber in Shenzhen können wir es in eineinhalb bis zwei Monaten schaffen", sagt James Zhou, UBTECH.
Stadt und Staat unterstützen Innovationen
Roboter müssen noch lernen, besser zu gehen. Doch in drei bis fünf Jahren, so die Vision des Firmengründers, sollen sie mit in unsere Wohnungen einziehen, den Kaffee bringen, alte Menschen unterstützen und Spielgefährten für Kinder sein. Die Angestellten verbindet eine Leidenschaft für Neues, viele arbeiten von morgens neun oft bis Mitternacht. Den Firmen stehen außerdem Förderungen zur Verfügung. Stadt und Staat unterstützen großzügig Innovationen für Chinas Aufstieg zur High-Tech-Weltmacht.
Als sich China vor 40 Jahren öffnete, wurde Shenzhen eine Sonderwirtschaftszone, die Menschen anlockte mit Ideen und Unternehmergeist. Bis heute zieht sie junge Talente an, die hier ihre Träume verwirklichen wollen. Das Umfeld dafür ist einzigartig.
Das Viertel Huaqiangbei ist berühmt für seine riesigen Märkte, in denen es jedes Zubehör gibt, was Unternehmen oder Tüftler brauchen, um Prototypen für ein neues Produkt zu bauen. Um die Entwicklungen zu beschleunigen, wurden zahlreiche solcher Werkstätten gegründet.
Wettbewerbe um Ingenieursnachwuchs zu fördern
"Wenn du mit einer Idee herkommst und sie in einen funktionierenden Prototypen umwandeln möchtest, können wir mit Dir besprechen, was dein nächster Schritt sein soll, möchtest du viele davon herstellen, dann können wir dich mit der Zulieferkette zusammenbringen, um die unterschiedlichen Teile ausfindig zu machen und helfen dir von dem einen Produkt vielleicht 1.000 oder eine Million herzustellen", so Su Haiyan, Chaihuo Maker Space (Werkstatt für Prototypen).
Wer hier mit seiner Idee aufgenommen wird, zahlt nicht einmal 100 Euro Monatsbeitrag und kamm dafür viele teure Maschinen nutzen. Die Entwickler werden beraten, mit Investoren und Marketing-Experten zusammengebracht. Die Betreiber solcher Macher-Zentren sichern sich dann zum Beispiel einige Prozent an den neuen entstanden Start-ups.
Auch hier bemüht man sich um den Ingenieursnachwuchs. An über 100 Universitäten vor allem in China bereiten sich gerade Teams auf ein Turnier vor. Roboter kämpfen gegen einander mit kleinen Kugeln, die Sensoren treffen müssen. Sie wurden von Studenten gebaut, die sie wie bei einem Videospiel am Computer lenken.
Einige Roboter schießen auch schon ohne Fernsteuerung – ausgestattet mit künstlicher Intelligenz. Eine der erfolgreichsten Firmen Shenzhens will mit dem Wettbewerb die Roboterbegeisterung bei Studenten fördern.
Mit hohem Tempo zur nächsten großen Erfindung
Eigentlich ist die Firma DJI Weltmarktführer bei Drohnen für den Privatgebrauch und produziert zunehmend auch für Unternehmen und die Landwirtschaft. Die neuste lässt sich mit Armbewegungen steuern. 12.000 Mitarbeiter, das Durchschnittsalter ist 27. Auch hier sieht man sich längst auf Augenhöhe mit dem Silicon Valley.
"Aus beiden Orten kommen großartige Innovationen. Meine persönliche Erfahrung in Shenzhen ist, dass das Tempo, in dem Dinge hier passieren, wirklich schnell ist. Ich denke, hier gibt es die Mentalität: Lass' es uns versuchen, was, wenn es klappt, und wofür können wir es noch nutzen", sagt Kevin On, Drohnenhersteller DJI.
Während in anderen Ländern Gesichtserkennung, künstliche Intelligenz und Roboter auch mit Skepsis betrachtet werden, kann es in Shenzhen gar nicht schnell genug voran gehen – auf dem Weg in die Zukunft – zur nächsten großen Erfindung.
Autor: Mario Schmidt / ARD Studio Peking
Stand: 03.08.2019 03:23 Uhr
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