Mo., 30.04.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Kongo: Wenn der Staat versagt
Das hier ist so etwas wie die A1 – allerdings in der Demokratischen Republik Kongo. Die Hauptverkehrsader verbindet wichtige Städte im Osten des Landes.
Blutiger Krieg um Bodenschätze
Der Priester Justin Nkunzi und die Anwältin Florence Furaha holpern fast wöchentlich hier lang. Es ist eine wunde Region, zerfetzt durch mehr als 20 Jahre Krieg und Staatsversagen. Der Grund sind wertvolle Rohstoffe. Mehr als 600 Minen gibt es allein in der Provinz Südkivu. Das ist das, was die Frauen suchen. Das Schwarze hier, das ist Coltan, erklärt mir Florence. Der Rohstoff, ohne den unsere Smartphones nicht funktionieren würden. Es wird weltweit viel Geld mit Coltan gemacht, doch die Menschen, die es fördern, haben kaum etwas davon.
"Ich bin hier geboren. Seit 50 Jahren wird in den Minen auf dieselbe Weise gearbeitet. Es gibt kein Krankenhaus, keine Schule, keine Straße. Das ist doch nicht normal", sagt Justin Nkunzi.
Alle, die hier arbeiten, sind Opfer des blutigen Krieges um die Bodenschätze. Die Männer haben als Rebellen gekämpft, sind aber kriegsmüde zurückgekehrt.
Keine Hilfe von der Regierung
In winzig kleinen Schritten sorgt die Anwältin Florence Furaha dafür, dass es allen besser geht. Sie haben inzwischen offizielle Papiere. Und mit neuen Werkzeugen können die Frauen jetzt bis zu drei Dollar am Tag verdienen statt wie bisher nicht mal einen. Die Regierung hilft niemandem und ist nicht in der Lage, den Krieg zu beenden.
"Es ist so, als ob man die Menschlichkeit in unseren Politikern betäubt hätte. Sie öffnen ihre Augen nicht in Richtung der kleinen Leute. Aber deshalb werden wir nicht die Hände in den Schoß legen. Wir kämpfen, bis wir in dieser Region eine Entwicklung sehen, die ihrem Reichtum entspricht. Und bis die ganze Welt begreift, dass Menschenrechte auch hier respektiert werden müssen", so Florence Furaha.
Zunächst müsste das die kongolesische Regierung begreifen. Gemeinsam mit Florence Furaha treffen wir den Minister für Minenangelegenheiten der Provinz. Warum hat die Bevölkerung nichts von dem Reichtum?
"Wir müssen zwischen Potential und Reichtum unterscheiden. Wenn Sie sagen, es ist eines der reichsten Länder der Welt, dann reden Sie von einem Land, das das Potential hat, eines der reichsten Länder zu werden. Aber wir hatten noch nicht die Gelegenheit dazu. Ich glaube, dass die Regierung schon sehr viel getan hat", findet Francois Amisi Kuonewa, Minister für Minenangelegenheiten Südkivu.
In vielen Region unterstützt die katholische Kirche das Volk
Nicht in dem kleinen Dorf Kaniola. Die Infrastruktur ist gleich Null. Auch hier sind die katholische Kommission für Gerechtigkeit und Frieden mit Père Justin und seinen Mitarbeitern die einzigen, die sich für die Menschen einsetzen. Auf Wunsch der Gemeinde hat sie ein Mahnmal für die Kriegsopfer errichtet. Ein Ort des Gedenkens für Père Justin und die Traumatherapeutin Thérèse Mema Mapenzi.
"Zuallererst wollen wir hiermit erreichen, dass das nie wieder passiert, und zweitens wollen wir zeigen, dass Kaniola so viele Menschen verloren hat. Und die Welt schweigt", sagt Thérèse Mema Mapenzi.
Es gibt unzählige Kaniolas im Ostkongo. Die katholische Kirche hat in vielen Regionen praktisch die Funktion des Staates übernommen. Zuletzt haben sich viele Priester auch politisch geäußert.
"Wenn man für das Volk spricht, heißt es, man gehört zur Opposition. Wenn man schweigt, heißt es, man ist von der Regierung gekauft worden. Was soll die Kirche tun? Wir wollen eigentlich neutral sein, weder auf Seiten der Regierung noch auf der der Opposition. Wir sind für das Volk da", so der Priester Justin Nkunzi.
Vergewaltigungen als systematische Kriegswaffen
Die Therapeutin Thérèse Mema Mapenzi kümmert sich um traumatisierte Frauen, die jahrelang nach Massenvergewaltigungen im Krieg geschwiegen haben. Mit Hilfe von Thérèse haben sie sich vieles inzwischen von der Seele geredet. "Als Opfer fühlt man sich schlecht im Herzen. Es ist nicht länger das Herz eines Menschen", berichtet eine Frau.
Zu den seelischen Schmerzen kommen Krankheiten wie Aids. Thérèse klärt auf und hört sich Geschichte um Geschichte an. So wie die von Nakatia, die von brutalen Rebellen sechs Monate lang festgehalten wurde.
"In der ganzen Zeit haben sie uns kaum was zu essen gegeben. Aber sie haben uns geschlagen und morgens und abends vergewaltigt. Wenn einer fertig war, kam der nächste und dann der nächste, immer so weiter. Ich möchte, dass so viele Menschen wie möglich davon erfahren", erzählt Nakatia M’Kabarhula.
Die Vergewaltigungen werden systematisch als Kriegswaffe eingesetzt. Wie viele Frauen auf diese Weise erniedrigt wurden und werden, ist nicht bekannt.
Wunsch, dass die Welt die Lage wahrnimmt
"Als Kongolesen zählen wir in der Welt nicht. Wir kümmern niemanden. Die internationale Gemeinschaft sieht nicht, was wir hier ertragen. Für sie ist es nur eine von vielen Geschichten, die passiert ist, Punkt. Das Leben geht einfach so weiter, aber für uns bleibt es ein Problem", findet Thérèse Mema Mapenzi. In Bukavu, der Hauptstadt der Provinz Südkivu feiert Père Justin jeden Morgen um sechs die heilige Messe. Die Kirche ist immer voll. Nachts wird sie vom Militär beschützt. Einigen Kongolesen passt das Engagement der Kirche nicht. Sie sehen es als Gefahr für ihre Interessen, nämlich das Land auszubeuten. Père Justin wird wegen seines Einsatzes bedroht, wie auch andere katholische Priester.
"Leider haben wir uns daran gewöhnt. Leider. Aber ich kann Ihnen sagen, wir sind alle traumatisiert. Es gibt Nächte, in denen ich nicht schlafen kann. Aber wir machen unsere Arbeit um des Evangeliums willen. Es ist eine schwierige Aufgabe, aber wir haben uns dafür entschieden", so Justin Nkunzi.
Was sie alle sich wünschen, der Priester, die Therapeutin, die Anwältin, die Menschen im Ostkongo, ist, dass die Welt wahrnimmt, was hier geschieht.
Autorin: Sabine Bohland / ARD Studio Nairobi
Stand: 03.08.2019 03:23 Uhr
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