Mo., 23.10.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
China: Zukunft heißt Totalüberwachung
Meine Begegnung mit der Zukunft. Die Kamera vermisst mein Gesicht, erkennt, ich bin ein Mann, beim Alter ist sie unschlüssig, aber nah dran. Noch bin ich ein Fremder für das System, das auch meine Bewegungen analysiert. Aber mein Gegenüber lernt schnell.
Gesichtserkennung soll Alltag verändern
Auf der Straße erkennt die Kamera von alleine: Limousine, Fahrer auf zwei Rädern, kurze Haare, grüne lange Ärmel, lange schwarze Haare – und täglich lernt das System mehr, dank unzähliger eingespeister Daten. Xie Yinan arbeitet für ein Unternehmen, das mit künstlicher Intelligenz den Alltag im Land verändert. Die Gesichtserkennung steht im Fokus. "Jedes Gesicht hat einen einzigartigen Code. Wenn du vor einer Kamera stehst und registriert bist, wissen wir sofort, wer du bist."
Wenn Xie Yinan vor dem Firmeneingang steht, erkennt ihn die Kamera sogar ohne Brille, Zugang erteilt. Die Mitarbeiter brauchen keine Firmenausweise mehr. Das Gesicht reicht.
Vom Start-up zur großen Firma
Vor drei Jahren noch ein kleines Start-up von Pekinger Studenten. Heute hat die Firma rund 500 Mitarbeiter. China ist in der digitalen Welt auf der Überholspur. Künstliche Intelligenz, Online Handel, bargeldloses Zahlen, alles boomt, obwohl das Internet streng kontrolliert und überwacht wird.
David Bandurski beobacht die chinesische Medienwelt. Pekings Führung ist dabei, einen bislang undenkbaren Balanceakt zu schaffen.
"Wir hatten in der Vergangenheit die Vorstellung, dass man keinen Wackelpudding an die Wand nageln kann, wie Clinton einmal das Internet als unkontrollierbares Medium beschrieben hat. Aber China ist dabei zu beweisen, dass es das Beste aus beiden Welten haben kann. Kontrolle des Internets und gleichzeitig einen lebendigen Platz fürs Geschäft", erzählt David Bandurski vom China Media Projekt.
Digitale Möglichkeiten zur Kontrolle
Chinas mächtiger Staats- und Parteichef Xi Jinping hat früh verstanden, welche Bedrohung von einem freien Internet für die Kommunistische Partei ausgeht. Er hat den Spieß umgedreht. Scharfe Gesetze und ein Heer an Zensoren verhindern unliebsame Inhalte. Gleichzeitig nutzt die Führung die digitalen Möglichkeiten, um die Bevölkerung besser zu kontrollieren. Die Regierung treibt die Gesichtserkennung voran. Zig Millionen Kameras sind im Land bereits installiert. Es werden immer mehr, und sie werden schlauer.
"Diese herkömmlichen Kameras können der Polizei noch nichts sagen, sie sind nicht intelligent, sie zeichnen Daten nur auf. Die Regierung braucht Überwachungskameras, die mehr können, die zum Beispiel sagen, wo der Kriminelle ist", findet Xie Yinan.
Kaum Diskussion über Datensicherheit
Die intelligenten Kameras sind schon an immer mehr Orten auf der Jagd nach Verdächtigen. Beispiele aus dem Firmen-Showroom. Es geht China offiziell auch um die Wahrung der nationalen Sicherheit – ein dehnbarer Begriff. Neben Terroristen und Kriminellen kann quasi jeder beobachtet werden, der auf der Liste der Sicherheitsorgane steht, etwa aus politischen Gründen.
Zu jedem Gesicht – viele Daten. Internetnutzer hinterlassen Spuren, was sie kaufen, mit wem sie kommunizieren, die Handy-App registriert, wohin Menschen mit Leihrädern fahren.
Fast alle Chinesen nutzen We-Chat, eine App fürs Chatten, fürs Bezahlen, oder Flüge buchen. Die chinesischen Internet-Giganten wie WeChat-Betreiber Tencent haben einen Pakt mit der Partei: Die darf auf alle Daten zugreifen.
"Was Du in China nicht hörst ist eine Diskussion über Datensicherheit, es gibt quasi keine, dafür gibt es viele Gründe, aber natürlich geht Datensicherheit in den Bereich des Rechts und wie sehr Bürger beobachtet und die Daten genutzt werden sollten. Im Moment haben die Chinesen da keine Mitsprache. Es ist alles Sache der großen Internetfirmen und natürlich der Führung", so David Bandurski.
Fehlverhalten der Bürger wird angeprangert
Neue Technologien werden dennoch begeistert aufgenommen, Gesichtserkennung ist bei Geldgeschäften schon verbreitet. Sie schützt vor Betrug, kann das Leben einfacher machen. Im Restaurant mit dem Gesicht bezahlen, das mit dem Konto auf dem Handy verbunden ist. Fluggesellschaften, Bahnhöfe, Universitäten – überall wird Gesichtserkennung getestet.
Der Staat nutzt sie schon, um die Bürger zu erziehen. In einigen Städten werden Fußgänger mit Namen auf Monitoren angeprangert, wenn sie mehrfach bei rot über die Ampel gegangen sind. Dort wirkt sich das Fehlverhalten schon aus auf ein gesellschaftliches Bonitätssystem aus.
Das soll bald in ganz China bewerten, wie gut sich jeder Bürger an Regeln hält. Der Punktestand entscheidet eines Tages vielleicht mit über Studienplätze, Jobs in Staatsunternehmen oder wer einen Kredit bekommt. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Kameras mit künstlicher Intelligenz
"Was Du online gepostet hast, kann auch dein Ergebnis beeinflussen. China hat zumindest die Vision, das es mit dieser Art von System in der Lage ist, Big Data nutzen zu können, um soziale Probleme zu erkennen im Sinne von sozialen Unruhen, bevor sie auftreten. Natürlich ist der Kampf gegen Kriminalität ein Teil davon, aber es ist viel, viel größer", sagt David Bandurski.
Die Unternehmen sehen die Zukunft positiver. Kameras mit künstlicher Intelligenz können zum Beispiel Köpfe zählen und helfen, Menschenmassen oder auch den Straßenverkehr flüssiger zu steuern. Firmen verstehen durch Big Data die Bedürfnisse der Kunden besser. Ein schmaler Grad zwischen Segen und Überwachungsfluch.
"Wenn du die Gesichtserkennung nutzt, kannst du in die U-Bahn-Station gehen ohne Angst, denn wenn ein Krimineller die Station betritt, gibt es eine Warnung. Aber ich bin der Gute, ich habe nichts zu befürchten. Das ist der Nutzen. Aber ich gebe zu, dass es Fragen gibt. Aber das muss durch Verordnungen der Regierung gelöst werden", so Xie Yinan.
Noch gibt es auch technische Hürden, was, wenn sich Hacker Zugang verschaffen. Spätestens dann würde der Wunsch nach Datenschutz wohl lauter werden.
Wie umfassend Chinas Führung Big Data nutzen wird, muss sich noch zeigen. Doch der Weg ist geebnet – für einen totalen Überwachungsstaat China.
Bericht: Mario Schmidt/ARD Studio Peking
Stand: 03.08.2019 14:31 Uhr
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