Mo., 23.07.18 | 04:50 Uhr
Das Erste
Dominica: Nach dem Hurrikan – Helfen im Urlaub
Über ein Jahr ist es her, dass der Hurrikan "Maria" die Karibik-Insel Dominica verwüstete. Jetzt werden Gäste gesucht, die beim Aufbau mit anpacken. Denn aus eigener Kraft schafft es der Inselstaat nicht. Urlaub einmal anders, schuften statt chillen.
Es gibt Menschen, die sagen, würde Christopher Kolumbus in die Karibik zurückkehren, Dominica wäre die Insel, die er wiedererkennen würde. Weil sie so ursprünglich ist und auf Ökotourismus setzt, nennt sich Dominica: die Naturinsel. Ein ruhiger Ort? Nicht für diese Frauen. Der Tag beginnt um 5 Uhr 30 in der Früh. Viele junge Leute bewegen sich geschäftig durch die Küche. "Ich habe super geschlafen", grüßt Maddie Simmonds aus England. Sie hat sich in ihren Semesterferien einer internationalen Freiwilligengruppe angeschlossen. Sie ergänzt: "Es ist schon voll, die Küche ist klein und jeder will sich was kochen, da kann es schon eng werden." Die Amerikanerin Taylor gilt als Langschläferin der Truppe, sie verlässt erst um 6 Uhr 40 ihr Zimmer. Auf der Terrasse machen sie sich bereit, ziehen feste Schuhe an. "Sind die Schuhe nass?", fragt die Korrespondentin. "Jaaaa !! Schau dir mal das riesen Loch hier an" antwortet Maddie lachend.
Die Freiwilligen werden dringend gebraucht
20 Freiwillige also helfen beim Wiederaufbau von Kindergarten und Grundschule, die Hurrikan Maria zerstört hat. Im September 2017 hinterlässt der Wirbelsturm – angetrieben durch die warmen Meere – verwüstetes Land. Eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet die Insel, die auf Nachhaltigkeit setzt, durch den Klimawandel zerstört wurde. Der Aufbau geht nur langsam voran. Die Menschen brauchen hier offenbar mehr helfende Hände als da sind. In Paix Bouche ist das anders. Acht Stunden Arbeit täglich, sechs Tage die Woche, beeindruckend schnell wächst der Bau. Hand in Hand mit den Einheimischen. "Das ist meine Schule, das war mein erstes Klassenzimmer als ich sieben Jahre alt war" sagt der Maurer Patrick Thomas. "Das Gebäude ist schwer beschädigt worden und von der Regierung kam keine Hilfe, die Freiwilligen machen eine wundervolle Arbeit hier."
Eine Arbeit, in der angehende Ingenieure, Rentner oder Englischlehrer wie Taylor so einiges über den Bau lernen. "Zum Beispiel dass Zement brennt. Maddie hat da so ein paar Brandstellen, kann sie Dir zeigen." "Hast du das vorher gewusst?" "Nein". Blessuren gehören dazu. Gezahlt hat Maddie allein das Flugticket, der Rest ist für sie kostenlos."Ich habe jetzt die Gelegenheit in meinem Leben, anderen zu helfen. Es ist doch gut. wenn ich meine Zeit in diese Schule stecke, die hier dauerhaft etwas bewirkt." Alison John wohnt gleich neben dem Bau und ist unverhofft Köchin der hungrigen Meute geworden. "Du musst etwas Liebe hineintun, dann schmeckt es richtig gut", versichert sie. Das hat sie von ihrer Tante gelernt, die eher wortkarg ist. Für die Helfer gibt sich Alison besonders viel Mühe. "Freiwillige Arbeit wählst du mit dem Herzen. Du musst es nicht tun. Sie haben entschieden, uns zu helfen. Ohne sie würde wahrscheinlich noch keine neue Schule hier entstehen", sagt sie.
Nicht nur Hilfe am Bau – auch Therapie gegen Traumata wird geboten
Es ist Regenzeit und die Hurrikan-Saison steht direkt bevor. Auch Zahra Warner ist eine Freiwillige. Ihre drei Wochen Urlaub schenkt die Psychologin aus Jamaika den Menschen hier für eine Traumatherapie. Denn es braucht mehr als nur neue Dächer. Auch die Seele will sie neu aufbauen. "Sinkt in eure Stühle, …lasst los …", hört man sie in ihrer Therapie sagen. Später erklärt sie: "Die Gefühle in uns Menschen sind überall dieselben. Aber Umstände können dich zwingen weiterzumachen, obwohl du eigentlich am Boden bist. Wie nach einem Hurrikan oder Erdbeben. Es braucht ein Ventil dafür – unbedingt." Es beginnt schüchtern und skeptisch, doch dann langsam beginnen sich die Frauen zu öffnen. Sie singen. Und es entsteht Raum für Gefühle, die vorher keinen Platz hatten. Lorraine Jean lässt sich therapieren, sie sagt: "Nach Hurricane Maria hatte ich das Gefühl, ich bin ausgelöscht."
Wenige Meter weiter steht ein Baum, 500 Jahre alt, er hielt dem Sturm stand. Ein Sinnbild für Stärke, findet Zahra, um sich der eigenen Wurzeln zu besinnen. Vencia Casey steht davor und beschwört ihn: "Schau, ich habe Narben, aber dennoch bleibe ich stark." "Ich verteile hier keine Wohltat. Aber ich denke, es gibt einen Grund, warum ich das hier studieren konnte – da ist etwas, das ich geben kann", erklärt Zahra Warner.
Die Schule ist fast fertig
Der letzte Hammer des Tages fällt an der Baustelle. Nur noch eben klar Schiff machen. Taylor Zerby zeigt ihre Hände und sagt: "Ich hatte noch nie Muskelkater an jedem einzelnen Fingern." Im August sollen die 90 Schulkinder hierher zurückkehren, wer kann, will das noch gerne miterleben. Maddie ist dann nicht mehr da, die Uni geht bald wieder los. Aber es bleibt ja was und sie nimmt was mit. "Ich denke, viele wollen das mit nach Hause nehmen: eine Arbeit, die dich inspiriert aufzustehen. Etwas tun, das wirklich etwas bewirkt. Und es lässt dich glauben, dass es noch viel Gutes in der Welt gibt".
Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Mexiko
Stand: 27.08.2019 02:35 Uhr
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