So., 03.03.24 | 18:30 Uhr
Das Erste
Elfenbeinküste: Bittersüße Schokohasen
Wir sind auf dem Weg nach Westafrika. Unser Ziel: Die Republik Côte d’Ivoire, die Elfenbeinküste. Der größte Rohkakaoproduzent der Welt. San Pedro im Westen des Landes ist das Zentrum der Kakaoindustrie. Hier sind wir verabredet mit Abelle Galo. Er ist Vorstand der Hilfsorganisation ID-Cocoa und kennt die Arbeitsbedingungen in der Kakaoindustrie. "Die Produktion von Kakao steigt immer weiter an, und man braucht immer mehr Arbeiter dafür. Und wenn ich sage Arbeiter, meine ich Kinder, denn die arbeiten bis heute auf den Feldern", sagt Abelle.
Mit Abelle fahren wir in das Kakaoanbaugebiet. Dann geht es zu Fuß weiter. Und wir müssen nicht lange suchen. Kinder bei der Kakaoernte. Abelle warnt uns: Kameras sind hier unerwünscht! Wir fragen die Jungs, ob sie in der Schule waren. "Ja, bis ich zehn Jahre war", sagt einer der Jungs und ein anderer antwortet: "Ich auch bis zehn." "Als ich zehn Jahre war, wurde ich hierhergebracht", erzählt ein weiterer.
Die Kinder bekommen keinen Lohn
Sie sind 13 Jahre und kommen aus dem armen Nachbarland Burkina Faso. Auch während wir mit ihnen sprechen, werden sie bewacht – von ihm: "Für die Jungs ist es immerhin besser, hier zu arbeiten, als in die Stadt zu gehen und kriminell zu werden. Hier können wir ihnen wenigstens auf sie aufpassen", sagt ein Aufpasser.
Ihre Eltern in Burkina Faso konnten sie nicht mehr ernähren, und haben ihre Kinder deshalb in die Elfenbeinküste verkauft. Für ihre Mahlzeiten müssen sie selbst sorgen. Sie kochen Cassava-Wurzeln, die sie auch selbst anbauen. "Hühnchen- oder Rindfleisch habe ich noch nie gegessen", sagt ein Junge und ein anderer ergänzt: "Wenn wir Fleisch essen wollen, dann jagen wir Ratten oder Füchse."
Die Jungs bekommen kein Geld für ihre Arbeit. Es wird nur einmal gezahlt – an die Eltern. Erst wenn sie 17 oder 18 sind, dürfen sie die Plantage verlassen. Zum ersten Mal in ihrem Leben probieren sie Schokolade. "Es ist wahnsinnig süß!", sagt einer der Jungen.
Hier leben sie jetzt, in diesem fremden Dorf. Vor fast jeder Hütte trocknet Kakao. Alexandre Krah Yao ist einer der größten Kakaofarmer. Seit Jahrzehnten kauft er Kinder aus Nachbarländern: "Wenn ich mir ein Kind, z.B. aus dem Benin besorge, muss ich den Vermittler bezahlen. Das restliche Geld kriegt dann der Vater im Benin. Das Kind selbst bekommt von mir für die Arbeit nichts."
Am Abend kehren auch die drei Jungs zurück vom Feld. Gemeinsam leben sie in diesem Raum. Einziger Schmuck ein alter Kalender. "Ich besitze nicht viel. Genauso wie meine Freunde. Nur eine Machete und das weiße Tuch da oben gehören mir. Oft sitze ich hier einfach und denke an meine Mutter", sagt ein Junge. Keine Familie im Dorf fühlt sich für die Kinder verantwortlich. Sie sind hier zum Arbeiten. Mehr nicht. Wir haben einen Termin mit der "International Cocoa Initiative", die Organisation wurde von der Kakaoindustrie gegründet und soll gegen Kinderarbeit kämpfen. Die Direktorin für West-Afrika, Euphrasie Aka, ist bereit, uns ein Interview zu geben.
"Wie sehr hat sich die Situation in den letzten 20 Jahren hier im Land verändert?" "Auch wenn es immer noch sehr viel Kinderarbeit gibt, hat doch eine deutliche Verbesserung in der Härte der Kinderarbeit stattgefunden", erklärt sie, "die ganz jungen Kinder müssen nicht mehr die schwerste Arbeit verrichten, wie zum Beispiel schwere Lasten tragen, Chemikalien versprühen oder mit scharfem Werkzeug hantieren."
Problematische gesundheitliche Zustände
Der karge Erfolg im Kampf gegen Kinderarbeit nach 23 Jahren: 12-Jährige müssen nicht mehr die schwerste Arbeit leisten. Der Einsatz trotzdem gefährlich: Zurück auf den Plantagen sehen wir, wie ein Pestizid ohne jeglichen Schutz verwendet wird. "Hat niemand mit euch über Schutzausrüstungen gesprochen wie Handschuhe und Masken?", fragt Abelle Galo. "Ich habe gehört, dass es gefährlich ist. Aber wir müssen es eben aufs Feld bringen", sagt ein Junge.
Die Jungs sind 16 Jahre alt. Auch sie sind aus Burkina Faso hierhergekommen. Auch sie wurden im Alter von zehn Jahren von ihren Familien verkauft. Noch zwei Jahre, erst dann können sie frei entscheiden, ob sie weiter auf der Plantage bleiben oder sie verlassen, ohne jemals lesen und schreiben gelernt zu haben. Und vorausgesetzt, sie bleiben gesund. Souleyman Koala arbeitet in der Krankenstation als Sanitäter, und es fehle ihm an allem, sagt er.
"Wie alt bist du?", fragt der Sanitäter. "Ich bin 10 Jahre alt", antwortet ein Kind. "Gehst du zur Schule?" "Nein, ich arbeite auf dem Kakaokfeld." "Was machst du da gerade?" "Ich säubere den Boden." Ivane kommt nicht aus einem Nachbarland, er ist im Dorf aufgewachsen. Auch er arbeitet jeden Tag von morgens bis abends auf den Kakaofeldern. "Er hat Fieber, Schwindel und Kopfschmerzen. Möglich, dass die vielen Chemikalien, die sie auf den Kakaofeldern benutzen, schuld sind. Viele Kinder verletzen sich auch mit ihren Macheten, haben Typhus oder Malaria", erzählt der Sanitäter.
Es war nicht schwierig, Kinderarbeit auf den Kakaoplantagen zu finden. Und in Containern geht die Ernte dann meist nach Europa. Eines ihrer Hauptziele: Die Häfen von Amsterdam und Hamburg.
Autor: Michael Höft
Stand: 03.03.2024 20:45 Uhr
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