Mo., 27.11.17 | 04:50 Uhr
Das Erste
Finnland: Experiment Grundeinkommen
Der Klang der Trommel muss noch ein wenig angepasst werden, bevor sie ganz fertig ist, das weiß Juha Jährvinen aus Erfahrung. An dieser arbeitet er seit Tagen, vor Weihnachten soll sie an den Kunden versandt werden. Juha schnitzt Schamanentrommeln, auf Bestellung. Einzelstücke. "Ich versuche derzeit, so viele Trommeln wie möglich zu machen und möglichst viel Geld zu verdienen", sagt er. "Handarbeit dauert aber immer länger. Es ist halt keine Massenproduktion, deswegen wirft dieses Geschäft auch nicht so viel ab."
560 Euro ohne Bedingungen
Immerhin, die bis zu 700 Euro, die er für ein Instrument bekommt, darf Juha inzwischen behalten. Davor wurde alles, was er sich dazuverdiente, von seiner Arbeitslosenhilfe abgezogen. Juha Jährvinen war sechs Jahre ohne Job, er ist einer von 2.000 Arbeitslosen, die das bedingungslose Grundeinkommen in Höhe von 560 Euro erhalten. Neben dem Trommelbau kann sich der Künstler jetzt um seine Kinder und den Haushalt kümmern. "Ich bin den Stress endlich los", sagt er. "Früher, als ich Arbeitslosenhilfe bekam, da hätte ich mich regelmäßig beim Arbeitsamt melden müssen, um nachzuweisen, das sich mich aktiv um einen Job bemühe. Das war schon belastend."
Eine Möglichkeit, neue Wege zu gehen
Auch Jarkko Kahunen aus Oulu in Nordfinnland bekommt die Grundsicherung. Vier Jahre war er ohne Arbeit, nachdem seine Firma hier zumachte. Irgendwann merkte der Informatiker: Er ist zu alt für die jungen Start-ups und zu lange aus dem Geschäft, um einen Job als Programmierer zu bekommen. Jetzt will er sich selbständig machen. Das Grundeinkommen bietet ihm die nötige Sicherheit. "Damals, in der IT-Branche, da waren die Gehälter ganz in Ordnung", erzählt er. "Und die Selbstständigkeit ist ja mit Risiken verbunden. Aber ich wollte schon so lange mein eigener Chef sein, und jetzt habe ich endlich die Möglichkeit, es anzugehen." Und einen anderen Weg einzuschlagen: Hochpreisige Schokoladen verkaufen, das ist seine Geschäftsidee. In den Einkaufszentren von Oulu bietet er den Feinkost-Shops seine exquisiten Süßigkeiten an. Die importiert er unter anderem aus Deutschland. Jetzt hofft er aufs Weihnachtsgeschäft.
"Für Leute, die arbeiten wollen, ist es sehr motivierend"
Daheim hat er einen Internet-Shop aufgebaut, der soll sein Kleinunternehmen richtig erfolgreich machen. "Wenn du nur zuhause auf dem Sofa sitzen willst, dann gibt dir das Grundeinkommen die Möglichkeit, weiterhin faul vor dich hin zu leben und nicht mehr zu versuchen, einen Job zu finden", sagt Jarko Kahunen. "Aber für Leute wie mich, die arbeiten wollen, ist es sehr motivierend." Ein Jahr hat sich Jarko Zeit gegeben, dann soll sein Schokoladenunternehmen profitabel sein. Denn eines ist ihm auch klar: Allein mit der Grundsicherung kommt man in Finnland kaum über die Runden.
Auswertung erst in einem Jahr
Die finnische Regierung hält sich zurück, wenn es um eine erste Zwischenbilanz geht. Wie die 2.000 Testpersonen die Grundsicherung für sich genutzt haben, soll erst nach Ende des Modellversuchs in gut einem Jahr ausgewertet werden. Vielleicht aber wird das Grundeinkommen eine wichtige Rolle spielen, wenn sich die Arbeitswelt radikal verändert. "Wie sich der Arbeitsmarkt in der Zukunft entwickelt, ist ja nicht klar", sagt Regierungsberater Markus Kanerva. "Es kann sein, dass es durch die Automation einfach nicht mehr genug Arbeit für alle gibt und dann müssen wir ja grundsätzlich überlegen, wie wir unsere sozialen Sicherungssysteme ganz neu gestalten."
Grundeinkommen bedeutet Sicherheit
Für Aila Jeskanen aus Tampere bedeutet das Grundeinkommen vor allem eines: Sicherheit. Die ehemalige Hotelfachfrau findet schon seit Langem keinen festen Job mehr, hat sich allein in diesem Jahr 150 Mal beworben – ohne Erfolg. In der Stadtbibliothek sucht sie online nach Arbeit, mehrmals in der Woche kommt sie hierher. Aber sie ist chancenlos, sagt sie. Zu alt. Nicht qualifiziert genug. "Wahrscheinlich habe ich im vergangenen Jahr weniger als einen Monat gearbeitet", erzählt sie. "Es gab mal hier etwas, mal da. Gestern habe ich bei einem Umzug mitgeholfen, für acht Stunden. Da sind diese typischen Kurzzeitjobs." Aila bastelt Puppenstubeneinrichtungen, die will sie verkaufen. Die Wichteltürchen sind gerade besonders angesagt. Wie es mit ihr nach dem Ende des Modellversuchs weitergeht, sie weiß es nicht: "Ich werde immer älter, werde dann ja schon 56 sein", sagt sie. "Das macht mir wirklich Angst."
Raum für Kreativität
Juha Jährvinen hingegen hat noch viel vor. Und seitdem er das bedingungslose Grundeinkommen erhält, kennt seine Kreativität keine Grenzen mehr. Ein leerstehendes Kulturzentrum will er mit ein paar Freunden kaufen. "ARTbnb" heißt sein Projekt. Künstler sollen hier einziehen, den Platz für ihre Arbeit nutzen. Er brennt für seine Idee, aber weder Juha noch seine Freunde haben das Geld dafür. Trotzdem, seinen Optimismus lässt er sich nicht nehmen. "Die ganze Welt entwickelt sich doch über Innovationen, es sollte möglichst viele davon geben", sagt er. "100 wilde Ideen muss man haben, am Ende bleiben zwei, die funktionieren, und die bringen uns nach vorne."
Das Grundeinkommen sei so eine Innovation, findet Juha. Und viel zu schade, als dass man es nach zwei Jahren einfach wieder abschaffen sollte.
Autor: Clas Oliver Richter, ARD-Studio Stockholm
Stand: 31.07.2019 13:51 Uhr
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