Mo., 04.02.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Finnland: Bedingungsloses Grundeinkommen
Zwei Jahre hatten 2.000 Arbeitslose in Finnland monatlich 560 Euro bekommen, ohne jede Bedingung. Jetzt ist der Großversuch vorbei. Christian Stichler (ARD-Studio Stockholm) zieht eine erste Bilanz und hat die Menschen wieder besucht, die das ARD-Team zu Beginn des Experiments getroffen hatte.
Juha Järvinen hat zwei Jahre lang ein Grundeinkommen vom Staat erhalten. Heute macht er sich auf den Weg in die finnische Hauptstadt. Er ist zu einer Podiumsdiskussion im Parlament eingeladen und soll davon berichten, welche Erfahrungen er mit dem Grundeinkommen gemacht hat. Seine Kamera immer dabei – gekauft hat er sie übrigens mit dem Geld vom Staat. "Ich muss in der Bahn noch überlegen, was ich genau sage, wie ich die 15 Minuten Redezeit am besten nutze, so dass ich das Publikum auch ein wenig zum Nachdenken anregen kann."
Eine Art Lottogewinn
Zum ersten Mal haben wir Juha vor knapp zwei Jahren in seinem Zuhause in der Nähe von Kurrika besucht. Seine große Leidenschaft: Der Bau von handgeschnitzten Schamanen-Trommeln. Damals mehr Hobby als Beruf. Seine Frau arbeitet als Krankenschwester. Zusammen haben die beiden sechs Kinder und einen Hund. Wir wollten wissen, wie sich das Leben der Familie verändert, seit dem Tag im Herbst 2016, als Juha die Zusage für das Grundeinkommen erhalten hat. "Ich habe morgens schon auf die Post gewartet", sat er. "Als ich den Brief gesehen habe, wusste ich, dass er von der Sozialversicherung KELA ist. In dem Moment habe ich wirklich gejubelt."
Das Grundeinkommen als eine Art Lottogewinn. Das denkt Juha auch heute noch. In den zwei Jahren hatte er große Pläne. Er wollte eine Art Wohn- und Atelier-Vermittlung für Künstler aufbauen: "ARTbnb". So richtig erfolgreich war das bisher nicht. Aber Juha findet, man müsse Dinge einfach ausprobieren. Die Freiheit, dies zu tun, hat ihm das Grundeinkommen gegeben.
Unterschiedliche Schicksale
Ankunft in Helsinki. Dass die finnische Regierung zweitausend Menschen zwei Jahre lang jeden Monat 560 Euro bezahlt - dieses Experiment machte weltweit Schlagzeilen. Bei der Veranstaltung im Finnischen Reichstag trifft Juha auf Aila – auch eine der Teilnehmerinnen. Sie und all die anderen werden in den kommenden Monaten von der Sozialverischerungsbehörde KELA befragt. "Es ist sehr interessant die Erfahrungen der Teilnehmer zu hören", meint Minna Ylikännö von der Sozialversicherungsbehörde. "Denn wir als wissenschaftliche Begleiter durften sie während der zwei Jahre nicht kontaktieren. Alles was ich von ihnen weiß, was sie durchgemacht haben, habe ich aus den Medien. 2.000 Teilnehmer und jeder mit einer ganz eigenen Geschichte."
An diesem Abend dürfen vier der Teilnehmer ihre Geschichte erzählen. Aila ist die erste. Sie ist langzeitarbeitslos, an Krebs erkrankt. Sie hat Angst vor einem Leben ohne das Grundeinkommen. "Mein Leben hat sich zum schlechteren verändert, denn jetzt werde ich wieder behandelt, wie vor zwei Jahren – wie Abschaum. Um alles muss man betteln, alles verzögert sich, alle Zahlungen, die bisher immer am Anfang des Monats kamen. Jetzt kommt das Geld irgendwann." Das Grundeinkommen habe ihr irgendwie ein Stück Menschenwürde zurückgegeben, sagt Aila. Das sei nun vorbei. "Vielleicht hat auch mich am meisten der Vortrag von Aila berührt", sagt Juha Järvinen. Sie muss wirklich jeden Tag um ihr Brot kämpfen. Gerade jetzt, da sie seit Anfang Januar wieder offiziell als arbeitslos gemeldet ist. Jetzt fängt das alles wieder an. Also wieder diese ganze Bürokratie…"
Optimismus auch nach Ende des Experiments
Zurück in Juhas Werkstatt. Das Experiment Grundeinkommen war auch in Finnland nicht unumstritten. Die Regierung testet mittlerweile ein anderes Modell. Bei diesem gibt es Geld vom Staat nur für den, der etwas tut – und seien es auch nur gemeinnützige Tätigkeiten. Juha muss künftig vom Bau seiner Trommeln leben – aber er ist optimistisch. "Ich konnte in den zwei Jahren mit dem Geld aus dem Grundeinkommen in neue Werkzeuge investieren. Jetzt geht das Trommelbauen zehn Mal so schnell wie vor zwei Jahren." Während seine Frau bei der Arbeit ist, kümmert sich Juha um die Kinder.
Ein fester Job wäre da nix für ihn. Wenn er essen macht, müssen Werkstatt und die Trommeln eben warten. Aber Juha findet sowieso, dass Geld nicht glücklich mache. Was brauche man in einer Gegend wie hier schon – außer etwas zu essen und etwas Strom. "Für meine Kinder sieht die Zukunft ja leider eher unsicher aus. Das ist auch ein Grund dafür, warum ich etwas dafür tun möchte, dass gerade sie und die kommenden Generationen eine etwas bessere Zukunft haben. Unsere Generation hat die doch Verantwortung dafür, Lösungen zu finden."
Das Sozialexperiment Grundeinkommen ist erst einmal zu Ende. Für Juha selbst ein gelungenes Experiment. Er will es künftig ohne Geld vom Staat schaffen. Wie es aber all den anderen Teilnehmern ergangen ist? Das wertet der finnische Staat gerade aus. Gründlich bis Ende des Jahres. Erst dann wird sich zeigen, ob der Versuch auch für sie ein Erfolg war.
Stand: 13.09.2019 02:31 Uhr
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