Mo., 04.02.19 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Das Ende des Permafrosts
Der Permafrost taut auf und setzt gigantische Mengen an Treibhausgasen frei. In Jakutien sind die Zeichen des Klimawandels längst bittere Realität. Unaufhaltsam, wie es scheint. Das dokumentiert Nikita Zimov seit vielen Jahren. Aber er hat auch eine zumindest lokale Lösung, um das große Tauen aufzuhalten. Er siedelt Wisente und Yaks an, die im Winter den Schnee niedertrampeln. Dadurch kann die Kälte tiefer ins Erdreich eindringen, hat er herausgefunden. Ein Bericht von Thomas Aders.
Eine CO2-Bombe droht
Der Kolyma-Fluss, russische Taiga. Unendliche Weiten, aber auch unendliche Gefahren, wenn man dem Klima-Visionär Nikita Zimov glaubt. Der Wissenschaftler fährt zu einer Stelle am Fluss-Ufer, an dem er uns sein persönliches Horror-Szenario erläutern will. "Das ist der Oberschenkelknochen eines Mammuts. Nicht gerade ein großes Exemplar." 40.000 Jahre war dieses Erdreich eingefroren durch den bislang überall vorherrschenden Permafrost. Doch jetzt schmilzt der Untergrund durch die steigenden Temperaturen. Wegen solcher Bilder wurde Nikita zum Klimaschützer. "Hier, sehen Sie all diese Wurzeln und Gräser, die hier vor ungefähr 40.000 Jahren gewachsen sind. Das ist ein gewaltiger Kohlenstoff-Speicher.
Nehmen Sie all diese kleinen Würzelchen und legen sie auf die eine Seite der Waage – und auf die andere die gesamte Vegetation unseres Planeten; dann werden Sie sehen, dass diese winzigen Wurzeln schwerer sind. Wenn der Permafrost überall abzutauen beginnt, dann wird all das hier zu Futter für die Mikroben. Die produzieren Treibhausgas: Kohlendioxid oder Methan. Das hier pures Eis. Und sehen Sie: wenn dieses Eis schmilzt, dann vermischt es sich mit dem Erdreich und sorgt für diese Schlammströme, die den Hang hinunterrutschen. Die Zersetzung geschieht hier äußerst schnell. Das sind Unmengen Kohlenstoff und Unmengen Eis. Und damit haben wir eine sehr gefährliche CO2-Bombe."
Die Dämme brechen
Überall, sagt der Mathematiker und überzeugte Klimaschützer, finden sich Beweise für die Erderwärmung und manchmal trifft es selbst seine besten Freunde. Der Eigenbrötler Leonid lebt seit 30 Jahren in der selbstgewählten Abgeschiedenheit, bis zum nächsten Haus sind es 80 Kilometer. Als Berufsfischer ging es ihm prächtig, denn direkt hinter seinem Haus lag ein 15 Kilometer langer Binnensee, aus dem er jede Menge Fische fing. Doch das Klima hat ihm einen Strich durch seinen Lebenstraum gemacht, obwohl er sich bis zum letzten Tag gegen die Erderwärmung gewehrt hat. Leonids See ist verschwunden, der Fischer hat den Kampf am Ende verloren. All die Jahre lang hatte der Permafrost einen natürlichen Erdwall zwischen See und Fluss steinhart frieren lassen. Doch im letzten heißen Sommer brach der Damm. "Das ist ein riesiger Verlust für mich", klagt Leonid Naletov. "Das Wasser ist weg, und mein See ist ausgetrocknet. All meine Fische sind verschwunden. Fische waren mein Brot, mein Einkommen. Ich habe all die 30 Jahre Angst gehabt, dass so etwas irgendwann passieren könnte. Deshalb habe ich den Damm verstärkt, so gut es geht, mit Gebüsch und Sträuchern. Ich habe gehofft, dass es nicht so schnell passieren würde."
Die ganze Infrastruktur ist in Gefahr
Das Abschmelzen des Permafrosts - eine Gefahr für die Infrastruktur. Für die Fernwärme- und Erdölpipelines – und für die Menschen. Wie hier in Chersky im hohen Norden Jakutiens steigen die Temperaturen kontinuierlich, immer mehr Häuser sinken ein. Es läuft etwas schief. Chersky am Kolyma-Fluss – das ist auch die Heimat von Nikita Zimov. Vor zwei Jahren hatte sich neben der ehemaligen Wasseraufbereitungsanlage plötzlich ein Krater aufgetan. Jetzt ist das Loch bereits zehn Meter tief.
"Wenn es einmal begonnen hat, dann geht es sehr schnell. Vor einer Woche waren die beiden Asphaltplatten dort drüben noch oben an der Oberfläche, jetzt sind sie beide abgebrochen. Und es gibt eine riesige Nische unter der Erde. Das Eis erodiert und nach und nach fällt der ganze Boden in sich zusammen. Mal sind es einige Zentimeter am Tag, an heißen Tagen auch mal einige zehn Zentimeter. Wir haben große Probleme in den Permafrost-Gebieten und wir werden sehen, dass in den nächsten Jahrzehnten die gesamte Infrastruktur wahrscheinlich zusammenbrechen wird."
Rentiere und Elche sollen das Klima retten
In der Nähe von Chersky hat Nikita 20 Quadratkilometer Land eingezäunt, hier kämpft er gegen die Erderwärmung. Gut hundert Tiere grasen hier bereits: Rentiere, Bisons, Elche und Yaks … 5.000 Pflanzenfresser sollen es einmal werden. Mit ihnen will Nikita das Klima retten. Wie das funktionieren soll, zeigt uns Nikita tief unter der Erdoberfläche. In diesem Permafrost-Stollen misst der Forscher die Temperatur im Boden. Die Tiere sollen im Winter den Schnee platt trampeln, der wie eine Schutzschicht gegen die Kälte wirkt. Ohne Schnee kann die Kälte besser ins Erdreich dringen. Mehr Kälte – weniger Auftauen – weniger CO2-Emission. "Es sind die Pferde, die Bisons, die Yaks und die Rentiere, die sich im Winter durch den Schnee graben, weil sie an das Futter gelangen müssen.
Und wenn die Tiere dabei den Schnee zertrampeln, dann haben wir anstatt eines Meters Schnee nur noch 10, 15 Zentimeter. Kein schwerer Wintermantel mehr, nur noch ein dünnes Fleece-Jäckchen. Einige unserer Sensoren haben folgendes gemessen: außerhalb unseres Parks, also ohne Tiere, lag im März die Bodentemperatur in einem halben Meter Tiefe bei minus zehn Grad. Aber im Park, wo unsere Tiere den Schnee zertrampelt haben, waren es minus 24 Grad. Das ist ein ungeheurer Unterschied von 14 Grad!" Wahrscheinlich wird sein tierischer Plan zur Rettung der Welt niemals richtig funktionieren. Nikita weiß das. Aber er ist überzeugt, dass das Überleben der Menschheit nicht zuletzt in der russischen Taiga entschieden wird. Und das lässt ihm keine Wahl: er muss irgendetwas unternehmen. So verrückt es auch ist.
Stand: 13.09.2019 02:31 Uhr
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