Mo., 05.10.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Ghana: Demokratie-Export
70 Jahre sind die Vereinten Nationen nun alt. So lange versuchen die UN, Frieden auf dem Globus zu schaffen. Eine Sisyphos Arbeit. 128 Staaten beteiligen sich an den weltweiten UN-Einsätzen. Doch kaum ein Land stellt so viele Soldaten für Blauhelm-Missionen ab wie Ghana.
Das kleine westafrikanische Land hat sich zum Ziel gesetzt, Frieden und Demokratie zu exportieren. Auch über Aufträge der UN hinaus. So bildet es jährlich Hunderte von Soldaten, aber auch Polizisten und Zivilisten für Einsätze vor allem in Afrika aus. Eine Reportage von Sabine Bohland, ARD Nairobi.
Angriff auf ein Flüchtlingslager irgendwo in Afrika. Eine UN-Friedenstruppe bewacht es. Die Angreifer werden in die Flucht geschlagen. Happy End der Übung im Ausbildungscamp der ghanaischen Armee. In Wirklichkeit ist es nicht immer so einfach. Major Akagbor hat schon viele UN-Einsätze mitgemacht. Er ist Ausbildungsleiter für ghanaische Soldaten, die auf Friedensmissionen geschickt werden. "Die ersten Friedenstruppen aus Ghana sind in den 60er Jahren von unserem ersten Präsidenten entsandt worden. Seitdem ist diese Leidenschaft, andere Länder beim Frieden zu unterstützen, Teil unserer Nation geworden. Wir helfen anderen gerne dabei, den gleichen Frieden zu genießen wie wir hier in Ghana."
Ghana hat sich einen guten Ruf erarbeitet
Auf jeden Einsatz werden die Soldaten im Bundasi-Camp in der Nähe der ghanaischen Hauptstadt wochenlang vorbereitet. Diese Truppe trainiert für ihren Einsatz im Südsudan. Ghana gehört zu den afrikanischen Ländern, die die meisten Soldaten für Blauhelm-Einsätze stellen. Ghana ist stolz auf den Ruf, den es sich mit Friedenssicherung erworben hat. Nicht nur im militärischen Bereich.
Das Kofi-Annan-Friedens-Institut in der Hauptstadt Accra. Seit 2003 ein wichtiges Standbein für multidimensionale Friedenseinsätze, die neben Militär auch Polizei und Zivilgesellschaft einbinden. Rot gegen Blau – wer bekommt die meisten Kästchen? Eine Gruppenübung im Kurs ‚Management von Wahlen‘. Das Engagement der Teilnehmer ist groß – zwei Wochen lang lernen sie hier, wie man freie Wahlen in ihren Heimatländern abhält. Aus 13 verschiedenen Ländern kommen sie – Ghana mit vielen demokratischen Wahlen ist ebenso dabei wie Somalia, das nächstes Jahr zum ersten Mal nach einem blutigen Krieg wählen soll. Wahlen, so die Überzeugung der Friedenstrainer, sind ein wesentlicher Bestandteil für Stabilität. "Wir müssen in Afrika dahin kommen, dass das Gesetz respektiert wird", meint Wahltrainer Amadou Macka Diallo. "Wenn das Gesetz sagt, Sie dürfen nur zweimal Präsident sein, dann sollten Sie keine dritte Wahl erzwingen. Sie sind nicht der einzige. Da gibt es andere, die genauso fähig sind oder sogar besser."
Ausbildung am Kofi-Annan-Friedens-Institut
Getrommelt wird in Ghana bei jedem Anlass. Am Tag der offenen Tür stellt sich das Friedens-Institut Diplomaten und Nichtregierungsorganisationen vor. Seit es von seinem Namensgeber, dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan eingeweiht wurde, sind hier mehr als 12.000 Menschen auf Friedensmissionen vorbereitet worden. Doch nach dauerhafter Ruhe sieht es in vielen Ländern Afrikas nicht aus. Für den Leiter des Instituts kein Grund zum Verzweifeln. "Ich glaube, eine perfekte Gesellschaft ist eine Utopie", sagt Generalmajor Obed Akwa. "Wir müssen realistisch genug sein, dass es immer noch schlechte Charaktere gibt, die ihren Willen durchsetzen wollen. Wir dürfen uns davon nicht enttäuschen oder entmutigen lassen; wir müssen nach vorne schauen, wenn wir die Welt zu einem besseren Ort machen wollen."
Von einer besseren Welt war Ruanda 1994 weit entfernt. Der Völkermord an fast einer Million Menschen war die Hölle – auch für General Anyidoho. Er war damals der stellvertretende Kommandant der kleinen UN-Truppe, die von der Welt im Kampf gegen das Grauen allein gelassen wurde. Die Ghanaer waren die einzigen UN-Soldaten, die blieben. "Das durchzuhalten ging nur, weil bei jeder kleinen Aufgabe, wo auch immer, ein Vorgesetzter dabei war", erklärt Generalmajor Henry Anyidoho. "Die Kommandanten haben sich nicht in ihre Büros zurückgezogen und die Soldaten die gefährlichen Patrouillen machen lassen. Sie waren immer selbst dabei. So sind wir zu einer Familie geworden. Wenn die Soldaten sehen, dass Du selber auch Teil der Truppe bist, dann motiviert sie das. Zusammen haben wir uns jeden Tag von Neuem der Gefahr gestellt."
Frieden lokal und global
Anyidoho ist Peacekeeper, also Friedenshüter mit Leib und Seele – auch wenn er darunter leidet, dass UN-Einsätze oft kritisch betrachtet werden. "Wir haben Narben in unseren Herzen, in unseren Köpfen, manche haben ihr Bein verloren, manche haben den Höchstpreis bezahlt, sie sind gestorben. Kann die Welt das nicht mehr würdigen?" Im Bundasi-Camp trainieren sie für ihren Einsatz im Südsudan. Auch dort warten Gewalt, Minen, Kämpfe, wartet Leid. Für ein wirtschaftlich schwaches Land wie Ghana sind die Einsätze für die Vereinten Nationen neben finanziellem Anreiz eine Möglichkeit, ihr Soll für die UN zu erfüllen. Doch das ist nicht das Entscheidende, was die Soldaten motiviert. "Die Menschen in Ghana sind von Natur aus friedliebend", sagt Major Edem Akagbor. "Wenn wir sehen, wie andere Länder zerrissen werden, dann sagen wir uns: wir werden nicht zulassen, dass so etwas auch in Ghana passiert. Dies ist das einzige Land, das wir haben. Also sorgen wir dafür, dass es keinen Krieg gibt." Und danach sieht es in dem kleinen westafrikanischen Land tatsächlich aus. Frieden wahren zu Hause – für Frieden sorgen: in ganz Afrika.
Stand: 09.07.2019 12:57 Uhr
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