Mo., 05.10.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Tadschikistan: Die Angst vor dem IS
Armut treibt sie zurück aus Moskau nach Tadschikistan. Zehntausende Tadschiken arbeiteten jahrelang in Russland. Mit ihrem Geld versorgten sie die Familien zu Hause. Jetzt, mit fallendem Rubel-Kurs und einer tiefen Wirtschaftskrise, kehren die Gastarbeiter in ihre Heimat in Zentralasien zurück. Ihr Land,
Tadschikistan, ziemlich korrupt, von harter Hand regiert – und meist ohne Arbeitsperspektive. In dem weitgehend islamischen Land hat die Terrororganisation inzwischen ein geheimes Netzwerk aufgebaut. Es rekrutiert Kämpfer für Syrien und den Irak. Hunderte Tadschiken sollen bereits dem selbsternannten Kalifat die Treue geschworen haben. Kämpfer, die irgendwann auch wieder zurückkehren und zu einer Gefahr für das tadschikische Regime selbst werden. Ein Bericht von Birgit Virnich, ARD Moskau.
Moscow City. Putins Manhattan. Erbaut von billigen Arbeitskräften aus den Armenhäusern Zentralasiens, den ehemaligen Sowjetrepubliken. Hier schuften auch viele Tadjiken – oft für weniger als 15 Euro am Tag. Bis vor kurzem ernährten sie so ihre Familien in Tadjikistan. Doch der Rubel hat an Wert verloren. Neuerdings müssen sie ausserdem eine Arbeitsgenehmigung haben und dafür zuweilen hohe Schmiergelder zahlen.
Viele Tadschiken kehren enttäuscht aus Rußland zurück
Da bleibt nicht mehr viel übrig. Enttäuscht kehren viele von ihnen in ihre Heimat Tadschikistan zurück. Bislang lebte fast die Hälfte der Bevölkerung von dem, was die Arbeiter aus Russland geschickt haben. Die meisten fahren von Dushanbe, der Hauptstadt Tadschikistans, in die entlegenen Dörfer. Dort leben ihre Familien von der Hand in den Mund. Unter Präsident Rahmon, der das Land seit 21 Jahren regiert, hat sich die ehemalige Sowjetrepublik kaum entwickelt. Viele der Plattenbauten stammen noch aus der Zeit der Sowjetunion.
Seit der Arbeitsmarkt in Moskau immer härter werden, entsteht an vielen Ecken in Dushanbe ein Arbeitstrich für Tagelöhner. Die Regierung schaut tatenlos zu, wie wir zu einem würdelosen Heer von Wanderarbeitern werden , erzählen sie uns. Wer bis mittags keine Arbeit hat, geht den ganzen Tag leer aus. Bislang haben sie sich immer irgendwie durchgeschlagen, doch mittlerweile wird das aber immer schwieriger, jetzt da soviele Tadschiken aus Russland zurückkehren. Manche nicht freiwillig, wie Jamol. Er wurde ausgewiesen. "Mein Geld hat nicht gereicht. Also musste ich auf der Baustelle schlafen und leben. Es war zwar wenig Geld, aber ich habe alles nach Hause geschickt. Wir haben uns immer vor der russischen Polizei versteckt. Als es auf dem Bau dann eine Kontrolle gab, wurden wir deportiert."
Vom IS angeworben
In Moskau fühlt man sich wie Freiwild, meint er. Einige junge Tadschiken lassen sich deshalb für Syrien für Geld anwerben. Sie landen in den Fängen der Islamisten, dem IS. Mittlerweile sind den Behörden 400 Tadschiken, die zum IS übergelaufen sind, namentlich bekannt. "Die Menschen, die von Russland aus zum Islamischen Staat gehen, haben keine Bildung", erklärt Arbaz . "Sie können ihre Familien nicht ernähren und sind verzweifelt. Sie sehen es als Chance, dahin zu fahren. Sie denken, dass sie dort viel Geld verdienen werden, aber sie gehen dahin um zu sterben. Diese Männer fahren aus Russland dahin, nicht aus Tajikistan. Sie werden mit Geld gelockt. Man schickt sie von Russland aus nach Syrien. Es sind dumme, ungebildete Jungen. Und dort werden sie erschossen. Mittlerweile gibt es Viele davon."
Und so werden sie angeworben. Mit Videos auf Arabisch und Englisch, neuerdings auch auf russisch. Dieser Aufruf wendet sich explizit an Tadschiken. "Wir werden Euch töten und den Dschihad auch nach Russland und in die USA holen", ruft dieser tadschikische Islamist. Ein prominenter General und ehemaliger Chef der Spezialkräfte Tadschikistans. Übergelaufen zu den Dschihadisten im April dieses Jahres. Ausgebildet in den USA und Russland. Ein Freund des Präsidenten. Ein Mann, der vielen als Vorbild galt, erklärt mir der Islamismus-Experte Faridun Hodizoda. "Er hatte eine brillante Karriere und die hat er aufgegeben für den IS. Die Menschen in Tadschikistan fragen sich, warum hat er das gemacht. Das ist wie ein Aushängeschild, mit dem man junge Menschen anziehen kann."
Die Familien der Überläufer leiden
Acht Mitglieder einer Familie, die zum IS übergelaufen sind. Der Fall bewegt die ganze Nation. Zurückgeblieben ist der Grossvater mit zwei kleinen Enkelkindern. Wir wollen ihn treffen. Wir fahren Richtung Süden in diesem hauptsächlich muslimisch geprägten Land. Hierher stammen einige der Männer, die in Moskau radikalisiert wurden. Die Landschaft wird immer karger. Hier müssen die Menschen mit wenig auskommen. Kabadian, ein Dorf kurz vor der afghanischen Grenze. Mittlerweile wird der Grossvater vom tadschikischen Geheimdienst abgeschirmt. Man lässt uns warten. Und teilt uns dann mit, dass wir nicht mit ihm sprechen dürfen. Auf eine Berichtserstattung über die Islamisierung Tadschikistans legt man hier keinen Wert.
Wir hören von weiteren Fällen. Fast in jedem Dorf, vor allem hier im Süden, seien mittlerweile junge Männer vom IS angeworben, erzählt uns ein tadschikischer Journalist. Die Familien werden stigmatisiert. Oft von den Nachbarn geschnitten. Die Regierung versucht das Problem zu verharmlosen und isoliert die Männer, die zurückkehren. In der Nähe der Kleinstadt Kurgantobe willigt eine Frau ein, uns zu sehen. Ihr Sohn ist gerade aus Syrien zurückgekehrt. Um sie zu schützen zeigen wir ihr Gesicht nicht. Die Lehrerin ist überzeugt, dass ihr Sohn übers Internet angeworben wurde. Er wurde in Moskau radikalisiert, erzählt sie. Dort musste er arbeiten, um seine Medizinstudium zu finanzieren. Über sein Internetprofil hat sie erst erfahren, dass er in Syrien ist. "Ich habe kaum gegessen in der Zeit erzählt sie mir. Als meine Schwester mir Geld für Essen gegeben haben, habe ich damit mein Internetkonto aufgefüllt. Ich habe versucht es vor meiner Schwester zu verheimlichen. Ich habe von morgens bis abends nichts gegessen. Ich habe immer nur auf`s Tablet gestarrt, um zu sehen, wann er online ist."
Er konnte als Sanitäter arbeiten und so erzählt er seiner Mutter, musste nicht töten. Nach neun Monaten sei er entkommen. Eigentlich müsste er öffentlich erzählen, wie schrecklich es beim IS war, meint sie. Doch die Regierung schirmt ihn ab. Man will das Thema in Tadschikistan lieber totschweigen.
Stand: 09.07.2019 12:57 Uhr
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