Mo., 06.07.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Griechenland: Die Abstimmung
Aufgrund der extrem kurzen Vorbereitungszeit wurde das gleiche Personal wie bei der Parlamentswahl im Januar zusammengezogen, auch wenn jetzt der eine oder andere Urlauber fehlt. Und: Auch die Wählerlisten sind wieder dieselben. Wer also im letzten halben Jahr umgezogen ist, kann nicht mit entscheiden.
Ein unklares Referendum
Über was genau abgestimmt wird, ist so klar nicht: Auf den Stimmzetteln steht ein Ja oder Nein zur Wahl zu einem Spar- und Reformprogramm der internationalen Gläubiger. Doch: Eigentlich gilt das nicht mehr. Deshalb meinen viele: Letztlich stimme man über den Euro ab. Bei einem Ja dürfte es irgendwie mit der Gemeinschaftswährung weiter gehen, bei Nein könnte die Drachme kommen.
Der Rentner Fotis Saradopoulos bereitet sich auf seine Stimmabgabe vor, auf sehr griechische Weise mit einem Kaffee: Ich werde "Nein" sagen! Der Grund dafür ist ganz einfach: Ich kann die Vorschläge von Herrn Schäuble beim besten Willen nicht akzeptieren!
Er wird sein Kreuz woanders machen: Spiros Spiropoulos. Wir mussten warten, bis Jemand wie er kommt. Denn: Patras ist eine traditionell rote Stadt, eine Syriza-Hochburg. "Ich werde 'Ja' sagen, denn wenn ich 'Nein' wählen würde, käme das für uns einem wirtschaftlichen Selbstmord gleich!", erklärt Spiros Spiropoulos
Angst vor dem wirtschaftlichen Selbstmord
Gut 200.000 Menschen leben in Patras. Nach Athen und Thessaloniki ist sie die drittgrößte Stadt Griechenlands. Deutschen Touristen ist Patras vor allem wegen seines Hafens bekannt: Das Haupttor des ganzen Landes für Menschen und Waren von und nach Europa.
Spiros Spiropoulos zieht es nach seiner Stimmabgabe zu einer Ladenzeile: Hier hatte er bis zur Krise ein florierendes Fitness-Studio. Jetzt ist er arbeitslos und lebt bei seiner Mutter – von deren Rente. "Nichts wird bleiben, wie es war, selbst nach einem 'Ja'. Auf uns kommen in jedem Fall schwere Zeiten zu!", sagt Spiros Spiropoulos.
Eine neue Chance für Verhandlungen?
Fotis Saradopoulos ist ein pensionierter Richter. Seit Beginn der Krise wurden seine Altersbezüge um die Hälfte gekürzt. Er glaubt, selbst bei einem "Nein" heute wird sein Land im Euro bleiben: "Erst nach einem 'Nein' beim Referendum würden die wirklichen Verhandlungen mit der EU beginnen! Da bin ich mir sicher!"
Zehn Jahre ist es alt, das neue Wahrzeichen von Patras: die Rio Andirrio-Brücke. Hier gilt sie als Symbol der Hoffnung und der Krise: Hoffnung, weil sie ein mit Geldern europäischer Investoren geschaffenes technisches Wunderwerk ist. Krise, weil die Gebühren für sie so hoch sind, dass die Meisten auch weiterhin die Fähre benützen.
Autor: Michael Schramm, ARD Istanbul
Stand: 08.07.2019 18:19 Uhr
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