Mo., 06.07.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Griechenland: Tücken der Innenpolitik
Damit konnten die Alten auch Kinder und Enkel unterstützen. Nun werden die ehemaligen Regierungschefs für den ganzen Schlamassel verantwortlich gemacht:
"Das waren doch die Fehler unserer Politiker. Ich habe keine Schulden. Warum haben sie uns in diese Situation gebracht?", schimpft ein älterer Mann
Fatalismus im Café
Aber noch andere wollen uns hier etwas sagen: Im zentralen Café gegenüber spielen die Männer wie immer Prefa, ein Kartenspiel ähnlich dem Skat, und die Stimmung kocht: "'Nein', mit 'Nein' werde ich abstimmen. Da kann mich nur der Tod von abbringen, nur der Tod", sagt ein Mann.
Und was, wenn er Montag kein Geld mehr bekommt? "Montag? Ist mir doch egal, Hunger habe ich doch jetzt schon. Sagt ihr mir doch, wen ich wählen soll. All die Lügner und Diebe, Samaras oder Venizelos? Wegen ihnen haben doch schon tausende Selbstmorde begangen, ja Selbstmord."
In Athen treffen wir den neben Alexis Tsipras wohl mächtigsten Politiker der Syriza, Panagiotis Lafazanis. Er steht an der Spitze der radikalen Kräfte in der Partei. Das Scheitern der Gespräche, die Abwehr von Rentenkürzungen, das Referendum - sein Werk. Er hält fest am kompromisslosen Kurs, spricht von Ausblutung und Vernichtung durch die europäischen Partner. Nur seine Partei biete Rettung. Eine Parteienkoalition? Undenkbar:
Panagiotis Lafazanis, Syriza:
Konfrontation als Ziel
Syriza-Politiker wie Lafazanis wollen die Polarisierung. Das Referendum, der Zwang für die Bürger also, über ungewisse Reformen zu entscheiden, ist Teil dieses Weges. Doch das spaltet, und die Regierung Tsipras schließt praktisch eine Hälfte der Bevölkerung politisch aus.
Wir fragen auch beim kleinen Koalitionspartner der Syriza nach. Hier im Verteidigungsministerium sitzt der Rechtspopulist Panos Kammenos, bekannt durch seine Attacken gegen Deutschland: Widerstand, Erpressung, Terrorismus - Verbalattacken durchziehen auch dieses Gespräch. Aber was ist mit Montag? Und was mit dem Ruin von Banken und dem Bankrott des Staates?
"Griechische Politiker wurden doch gezwungen, die Banken zu schließen. Und das wurde leider von deutschen Politikern zugelassen, während andere Länder dagegen waren. Und warum? Damit sie ein Klima des Terrorismus schaffen und die Griechen gezwungen werden, zu den Geldautomaten zu gehen", meint Kammenos
Ratlosigkeit der Politik
Abstreiten des Ruins, Angriffe und Verdächtigungen selbst vor dem Kollaps - ist das politische und wirtschaftliche Ratlosigkeit von Rechtpopulisten und extremen Linken?
In Kalamos, dem Bauern- und Fischerdorf, treffen wir auch die, bei denen es nicht nur um die Rente, sondern um eine Zukunft, um den Aufbau einer Familie geht. Sie fühlen sich seit Jahren von Europa und den griechischen Politkern allein gelassen. Sie wünschen sich schon fast den Totalabsturz herbei - allein mit Tsipras. Europa ist für sie da ganz weit weg.
"Jetzt entscheiden andere über mein Schicksal, nicht ich. Sie haben mich in eine Situation gebracht, wo ich mein Leben mit 400 Euro monatlich bewältigen soll. Das geht einfach nicht. Da ist es doch besser, alles zu zerstören und auf einen kompletten Neubeginn zu setzen", sagt ein junger Mann.
Hoffnung für die alten Parteien?
Zur gleichen Zeit in Athen bereitet sich das alte politische System auf die Rückkehr zur Macht vor. Der konservative Nikos Dendias, Ex-Minister in verschiedenen Regierungen und einer der Strippenzieher zwischen den Oppositionsparteien. Seine Partei hat in der Vergangenheit versagt. Was kann da jetzt besser werden?
Nikos Dendias:
Die Opposition arbeitet wohl noch an einem Alternativplan für sich und für das Land. In Kalamos wollen und können viele den Politikern des Landes keine Zeit mehr dafür geben. Sie fürchten einen erneuten, langen Verhandlungspoker nach dem Referendum. Ratlos warten sie weiter.
Autor: Bernd Niebrügge, ARD Athen
Stand: 08.07.2019 18:19 Uhr
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