Mo., 06.07.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Portugal: Als Erfolgsmodell gepriesen – von den Menschen teuer bezahlt
In Portugals Hauptstadt Lissabon geht es entspannter und ruhiger zu als anderswo in Europa. Portugiesen neigen zu eher leisen Tönen, auch in der schweren Eurokrise. Nun beginnt die Wirtschaft wieder zu wachsen, vor allem im Tourismusbereich. Ein Symbol dafür sind solche Moto-Taxis, die Lissabon in Scharen bevölkern. Betrieben werden sie oft von Arbeitslosen, die eine Marktnische gefunden haben.
Aufschwung durch den Tourismus
"Der Aufschwung in unserem Land wird derzeit vor allem durch den Tourismus getragen", erklärt Joao Tubal, der eigentlich Bauingenieur ist. In der Innenstadt liegt der Kleinbetrieb von Joao. Er verfolgt die Griechenlanddebatte mit gemischten Gefühlen; die Portugiesen hätten selbst große Opfer gebracht. Er zum Beispiel würde viel lieber in seinem richtigen Beruf arbeiten.
Joao Tubal, Kleinunternehmer:
Kein Sonderweg für Griechenland
Bei der bürgerlichen Regierung Portugals sieht man das genauso. Der Sozialdemokrat Paolo Pinto, der lange in Deutschland gelebt hat, findet, es darf keinen Sonderweg für Griechenland geben. Das wäre fatal für Europa, denn Portugals Regierung hat den Menschen ein rigides Sparprogramm auferlegt, 30.000 Stellen im öffentlichen Dienst gestrichen, die Renten gekürzt, die Mehrwertsteuer erhöht. Immer wieder gab es dagegen Proteste – vergebens. Der Lebensstandard ist jetzt in Portugal im Durchschnitt noch niedriger als in Griechenland.
Wer sich abseits der Touristenmeile Lissabons bewegt, der trifft auf andere Töne. Gerade bei vielen älteren Portugiesen ist die Verbitterung groß. Sie seien es doch, die den Preis für den Aufschwung bezahlen hätten. Deshalb finden sie Griechenlands Regierung richtig gut.
Sympathie für Griechenland
"Die tun was für ihr Volk", sagt er, "während wir in Portugal nichts zu melden haben. Uns kürzen sie die Renten und setzen die Mehrwertsteuer rauf. Aber in Griechenland wehrt sich die Regierung dagegen."
Die zentrale Lebensmittelbank von Lissabon: in Portugal gibt es ein dichtes Netzwerk von Suppenküchen, die Bedürftige versorgen. Das hat geholfen, die größte Not im Land zu lindern, denn eine Million Rentner müssen mit weniger als 270 Euro im Monat auskommen. Ohne diese Spenden wären sie verloren. "Wir stellen fest, dass sich die Lage wohl ein wenig verbessert hat. Aber gerade für die älteren Menschen bleibt die Situation weiterhin sehr schwierig", sagt uns Isabel Jonet von der Lebensmittelbank Lissabon
Lebensmittelhilfe für 500.000 Menschen in Lissabon
Und dann werden die Lebensmittel in die Stadtteile ausgeliefert – Alltag in einem Krisenstaat Europas. Eine halbe Million Menschen werden allein von der Lebensmittelbank in Lissabon versorgt. Ohne sie würden diese Menschen hier ganz einfach Hunger leiden.
"Es ist schlimm", sagt diese Frau: "Mein Sohn ist krank. Wir haben nur 300 Euro im Monat. Wir könnten ohne diese Spenden nicht überleben." Natürlich solle man auch den Griechen helfen, sagen sie uns noch, aber leider könnten sie dazu nichts beitragen.
Portugal ist gespalten. Zwischen großer Armut und vorsichtigem Wachstum bewegt sich dieses Land. Als Musterknabe wird es oft in Brüssel und Berlin gelobt, aber seine Menschen haben einen hohen Preis dafür gezahlt. Und sie haben das bislang ertragen. Die Portugiesen neigen eher zu leisen Tönen.
Autor: Stefan Schaaf, ARD Madrid
Stand: 08.07.2019 18:19 Uhr
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