Mo., 06.07.15 | 04:50 Uhr
Das Erste
Russland: Rockfestival als Rekrutierungsshow für den Militärdienst
Rockmusik und Panzer-Show, ein Mega-Festival für junge Patrioten. Russische Superstars auf der Bühne, eine Waffenschau am Rande des Freigeländes. Unter den mehr als 100.000 Besuchern ist auch die Familie Newski. Drei Tage lang schlafen sie im Auto – auch tagsüber der einzige Schatten bei über 30 Grad.
Familienerlebnis Rockfestival
"Wir sind wegen der Musik hier", sagt uns Andrej Newski: "Wir sind mit der Familie hier: Kinder, Enkel, Onkel, Nichten – die ganze Verwandtschaft." Andrej Newski ist von Beruf LKW-Fahrer und bereits zum achten Mal auf dem Festival. Zu Sowjetzeiten galt Rockmusik als vom Westen infiziert. Andrej Newski stört es nicht, dass die Regierung jetzt die Musik benutzt, um die Popularität der Armee zu steigern. Für den Veranstalter ist es sogar Programm.
Patriotismus in Russland
"Was", frage ich ihn, "haben Rockmusik und Militär miteinander zu tun?" "Was uns alle verbindet ist der Patriotismus. Das ist ja nichts Schlechtes. Wir alle lieben Russland", antwortet uns Alexander Schkolnik, Präsident der Multimedia Holding. Die Waffen am Rande des Festivals kann man anfassen, besteigen. Und natürlich darf das Foto nicht fehlen. Die russische Armee nutzt die Neugier um Werbung für sich zu machen. Bei Kindern setzt man auf den Spieltrieb.
Panzer für Kinder
Andrej Newski zeigt seinen beiden Enkeln, wie es im Innern eines Panzers aussieht. Er selbst hat in den neunziger Jahren seinen Wehrdienst gemacht. Damals übliche Schikanen und Zwangsmethoden sind vergessen. Und was denkt er heute über die Armee? "Die haben heute eine beeindruckende Technik. Als ich gedient habe, gab es das noch nicht. Aber das heute ist '1A'. Da spürt man die Kraft unserer Armee."
So wie Andrej denken viele. In Umfragen haben 86 Prozent der Russen Vertrauen in die Armee. Da spielen dann auch die Rockmusiker mit. So nennt sich die Gruppe von Diana Arbenina die "Nächtlichen Scharfschützen." Zu politischen Fragen will sie nichts sagen. Warum auch sollte sie es sich mit der Mehrheit und dem Verteidigungsministerium verderben.
"Keine Angst vor Kriegsgerät"
Panzer auf dem Festivalgelände? Kein Problem für den Sänger der Gruppe "Leningrad" Sergej Schnurov: "Schweres Kriegsgerät gibt es überall. Davor muss ich doch keine Angst haben."
Einer der wenigen, die sich der Vereinnahmung durch die Militärs verweigern, ist Andrej Makarewitsch. Im Internet begründet er, warum er im vergangenen Jahr noch ein Top Act auf dem Festival war und diesmal zu Hause bleibt: Er habe keine Lust vor Panzern zu spielen.
Eine Staffel der russischen Luftwaffe brettert im Tiefflug über das Festivalgelände. Demonstrationen dieser Art sollen bald eine ständige Einrichtung werden. In Kubinka, am Stadtrand von Moskau, baut das Verteidigungsministerium einen militärischen Erlebnispark für die ganze Familie mit Kanonenschießen und Panzerrennen.
Ein Rockfestival als "Dialog"
Anton Gontscharov, Armeesprecher:
In einem kleinen Verkaufszelt gibt es T-Shirts mit dem Konterfei von Präsident Putin. Er war es, der 2008 die Wehrpflicht von zwei auf ein Jahr gesenkt hat – für Familie Newski eine richtige Entscheidung.
Für Andrej ist langfristig auch eine reine Berufsarmee denkbar. Mit einem guten Verdienst und einer guten Ausbildung könnte das auch mal etwas für seine Enkel sein. Seine Frau ist da anderer Meinung: "Meine Enkel sollten bereit sein, wenn etwas schief läuft und unser Land sie braucht. Dann sage ich: 'Geht!' Aber eine militärische Karriere sollen sie nicht machen." Russlands Armee wird weiterhin alles daran setzen, die Menschen zu überzeugen: mit Patriotismus und auch mit Rockfestivals.
Autor: Peter Schreiber, ARD Moskau
Stand: 08.07.2019 18:19 Uhr
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