So., 24.01.21 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Agenten außer Kontrolle
Wandern, das hat Lisa auch mit ihrem Freund immer gemacht. Wann immer es ging, die Zeit miteinander verbringen, in der Natur – eines ihrer Hobbys. Mit Mark war Lisa sechs Jahre zusammen: Gemeinsame Urlaube, Weihnachten… gemeinsame Nächte.
Vor 15 Jahren war Lisa aktiv in der Umweltszene. Sie ging auf Klima-Demos, organisierte in ihrer Gruppe auch selbst Proteste gegen Kraftwerke. Immer dabei: Mark, der mitmischte.
Jahre später, in einem gemeinsamen Urlaub entdeckte sie dann zufällig einen Ausweis von Mark mit ganz anderem Namen. In Wahrheit war er ein Undercover-Agent der Polizei, angesetzt, sie und ihr Umfeld auszuspionieren.
Agent privat
Mehrmals am Tag berichtete Mark damals seinem Kontaktmann bei der Polizei, was los ist in der Szene. Nach seiner Enttarnung hat er sich filmen lassen. Um seinen Job zu erklären: "Man kann es Spionage nennen. Ich habe Informationen über die linke Szene gesammelt, über die antifaschistische und Umweltbewegungen. Wir haben keine Drogen-, Waffen- oder Kinderhändler unterwandert, sondern Leute mit sozialer Gesinnung." Die Frage ist aber: Wie weit darf die Polizei gehen? Eine Beziehung als Spitzelmethode ist eigentlich eine Grenzüberschreitung. Offiziell hat sich die Polizei entschuldigt. Ihre Agenten seien zu weit gegangen, denn seit seiner Enttarnung flogen immer mehr auf: über 30 Frauen sind bekannt, die unbewusst in einer Beziehung mit Undercover-Polizisten waren.
Zu viel Spitzelei
In London nimmt eine Untersuchungskommission die Undercover-Agenten unter die Lupe, erzielt aber seit Monaten erstaunlich wenig Ergebnisse. Und die Regierung selbst hat gerade einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, der die Rechte von Undercover-Agenten nicht beschränkt, sondern erweitert. Sie sollen künftig sogar Gesetze brechen dürfen, zum Erstaunen von Parteifreunden. Die britischen Gesetze böten also keinen Schutz vor zu viel Spitzelei, nur noch die europäische Menschenrechtskonvention. Die Polizei hätte dann künftig weniger Kontrolle zu befürchten.
Lisas Beziehung mit Mark ist nun zehn Jahre her. Es fällt ihr schwer abzuschließen, weil sie befürchtet, dass das grenzenlose Spitzeln weitergeht: "Auch nach zehn Jahren spüre ich immer wieder aufs Neue Wut. Es werden einfach ständig neue Gründe geliefert, wütend zu sein."
Mark hat über sieben Jahre als Liebespartner spioniert. Seine Erkenntnisse haben übrigens zu keiner einzigen Verurteilung geführt.
Autor: Sven Lohmann, ARD London
Stand: 25.01.2021 11:00 Uhr
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