So., 05.05.19 | 19:20 Uhr
Das Erste
Großbritannien: Rappende Opas
Pete und Bas sind über 70 – aber mit ihrem Musikvideo haben sie die britische Grime-Szene überrascht: Über eine Million Klicks erhielt ihr Video mit superschnellem Londoner Rap auf Youtube und sogar bei der britischen Castingshow "Britain’s Got Talent" machten sie mit. Das Leben von Pete und Bas hat sich für immer verändert.
Annette Dittert, ARD-Studio London
Direkt unter den Glitzertürmen des Londoner Finanzdistrikts liegt eine ganz andere Welt. Sozialsiedlungen, die von dem Geld gegenüber nur selten etwas sehen. Gegenden, in die sich kaum ein Tourist verirrt, in denen aber die kleinen und großen Geschichten der Stadt genauso zu Hause sind. Und die findet man hier meist im Corner Shop an der Ecke. Hier trifft man z.B. Bas. Jeden Freitag. Und dann steuert er zielstrebig in den hintersten Winkel, wo er dem Sohn des Inhabers Klavierunterricht auf einem Keyboard gibt. "Das ist bescheiden. Aber Jesus hat auch klein angefangen. Und dann hattet ihr Mozart, der hatte auch kein Geld. Und für mich ist das gut. Wenn Du älter wirst, weißt Du, dass deine Zeit knapp wird. Du hast diesen Baum, der dein Leben ist, und den musst du verdammt hart schütteln, bevor Du stirbst".
Und dann kam eines Tage Pete vorbei. Aus dem Block gegenüber. Ebenfalls Freizeitmusiker. Man sah und traf sich und es war Liebe auf den ersten Blick. Also, platonisch natürlich. "Es hat einfach Klick gemacht, als ob plötzlich ein Licht aufgeht. Warum wir uns auf Anhieb so gut verstanden haben, weiß ich auch nicht. Was Freundschaft ist? Das ist Freundschaft, wenn man sich einfach so immer ohne Worte ergänzt. 99% dessen was wir zusammen machen ist so auch totaler Unsinn. Aber es funktioniert." Der Unsinn sind ihre Musik-Videos. Hier im Laden haben sie begonnen, Grime zu machen, Londoner Underground Musik, die eigentlich von 20jährigen gespielt wird. Und die sie jetzt mit über 70 für sich entdeckt haben. Zwei Opas, die in ihrer Küche die coolen Gangster geben, auch wenn das Frühstück noch selbst gebraten werden muss.
Schwarzer Underground mit über 70
Produziert haben sie ihre Hits hier, eine halbe Meile nördlich vom Corner Shop. In der Einzimmerwohnung von Steve, der eines Tages dort die Idee hatte, sie groß rauszubringen und ihnen ein bisschen mit der Technik hilft. Die Songs allerdings sind von Pete und Bas selbst. Und obwohl Grime, eigentlich die Musik des schwarzen Undergrounds ist, füllen sie damit jetzt ganze Konzerthallen. "Weil sie echte Menschen sind", meint Steve. "Es geht nicht um ihr Ego, sie sind einfach Menschen, die sie selbst sind. Und Pete sagt: "Und ich kann die Endorphine richtig spüren, wie sie in mein Gehirn schwimmen. Und jedes Mal, wenn sie da ankommen, fühl ich mich besser und besser und besser." Ist das sowas wie Glück? "Ja, ich fühle mich lebendig damit."
Petes größter Fan ist übrigens die 15jähirge Lilly, seine Enkelin. Die heute das erste Mal mit zum Konzert darf. Denn sie hat Pete überhaupt erst auf Grime gebracht. "Sie hat im Radio immer wieder meinen Sender verstellt. Und dieses Grime laufen lassen. Ich hab dann auf meinen Sender zurückgedreht. Dann sie wieder auf ihren. Und weil sie etwas sturer als ich war, hab ich dann am Ende aufgegeben. Und gemerkt, dass ich das super fand eigentlich."
Grime-Musik bis sie tot umfallen
Und irgendwann musste Lilly den Sender gar nicht mehr verstellen, sondern fand stattdessen ihren Opa mit ihrer Musik auf YouTube mit über einer Million Clicks. "Oh mein Gott, hab ich gedacht, als ich das gesehen habe, das ist doch OPA", erzählt Lilly. "Ich war schockiert. Aber jetzt bin ich natürlich super stolz auf ihn und hab das allen meinen Freunden gezeigt, aber die waren auch erstmal schockiert. "
Ihr Ziel heute Abend Brighton. Ihr Gig: Kurz nach Mitternacht. Lilly war übrigens auch diejenige, die ihnen zu Hause erklärt hat, wie man in einem Nachtclub auftritt. "Sie hat uns beigebracht, wie wir uns hier bewegen sollen", erzählt Bas, "und mir erklärt wer die ganzen Performer vor uns sind. Einmal auf der Bühne wirken die beiden aber so, als ob sie ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht haben. "Sie sind großartig", sagt ein Fan. "Ich liebe sie. Schon immer."
Wenn Pete dann aber spät morgens nach Hause kommt, ist ihm schon klar, dass für die Karriere, die da am Horizont winkt, nicht mehr endlos viel Zeit vor ihm liegt. "Wenn ich jetzt tot umfalle, dann ist das eben so. Der Tag steht da irgendwo auf meinem Hut. Und wenn es soweit ist, ist es soweit. Das ist wie mit den Steuern. Denen kannst Du auch nicht entgehen. Steuern und Tod. Da kommst du nicht drumrum." Aber bis dahin schütteln sie ihren Baum des Lebens. Und bleiben jung. Was geht. Solange man dieses unbedingte Bedürfnis behält, der Welt nahe zu bleiben, und eine Spur zu hinterlassen, bevor man geht.
Stand: 05.05.2019 21:50 Uhr
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